Gedanken nach S21 und den Killing Fields
16 04 2012Nachdem ich Stacheldraht während meiner Kindheit und Jugend lediglich mit Kuhwiesen assoziiert habe, hat er sich für mich seit meinem Besuch in Palästina zum Symbol für Unmenschlichkeit gewandelt. Wo Unmenschlichkeit an der Tagesordnung ist, findet sich Stacheldraht. Und so ist das einzige Foto, das ich an dieser Stelle hochladen will, dieses von einer der Mauern, die das Foltergefängnis S21 umgibt:
Gegen Ende meines Besuchs der Killing Fields sprach mich ein junger Kambodschaner an, ein Student der Tiermedizin, wie sich herausstellte. Er dankte mir dafür, dass ich die Killing Fields besuchte und mich mit der Geschichte seines Landes auseinandersetzte und sagte mir, wie wichtig es für ihn und sein Volk sei, dass Menschen anderer Länder von der leidvollen Geschichte Kambodschas erfahren.
Als Ergänzung zu dem, was ich gesehen und gelernt habe, habe ich mir ein Buch gekauft, von dem ich hoffe, dass es der ein oder andere von euch liest: Der englische Titel lautet “First they killed my father” (gibt es auch auf Deutsch, habe den Titel aber gerade nicht greifbar), die Autorin ist Loung Ung. Als die Khmer Rouge die Macht übernahmen, war sie fünf Jahre alt. In einem hervorragend geschriebenen Buch schildert sie ihre Erfahrungen aus der Kindersicht und gewährt so einen Einblick in die Geschichte ihres Landes, den man nicht durch Faktenwissen erreicht.
Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Kambodschaner hat mein Bild der Leute hier etwas verändert. Wie ich glaube ich irgendwo geschrieben habe, habe ich vor allem die Kambodschaner in Phnom Penh als geradezu feindselig und zutiefst misstrauisch mir gegenüber empfunden. Keine Spur von der Freundlichkeit der Thailänder, die stets ein Lächeln für einen haben.
Im Hinblick auf ihre Geschichte kann ich nun zumindest einen möglichen Grund für dieses Verhalten verstehen. Während der vier Jahre des Pol Pot-Regimes waren viele Menschen gezwungen, Geheimnisse zu hüten: Sei es ihre nicht-bäuerliche Herkunft, ihre Arbeit für die frühere Regierung (beides bedeutete den Tod) oder dass sie zum Beispiel Schmuck oder Essen besaßen, dass sie laut den Regeln der Roten Khmer nicht hätten besitzen bzw. mit den anderen hätten teilen müssen. Erwachsene und Kinder wurden dazu angehalten, ihre Nachbarn, Freunde und Familienmitglieder zu denunzieren, die sich auch nur regimekritisch äußerten. Diese Politik schaffte nicht nur Misstrauen, sondern führte dazu, dass die Menschen zwar eng zusammen lebten, aber emotional trotzdem völlig isoliert waren. Hinzu kommt, dass viele nicht über das Grauen, das sie erlebt haben, sprechen können, was ebenfalls in Isolation und Einsamkeit mündet.
Natürlich ist die Generation, die den Völkermord erlebt hat, heute mindestens 40 Jahre alt, aber die Tendenz zur Introvertiertheit, zum Misstrauen und zu fehlender Fröhlichkeit (in Folge von Trauer) hat diese Generation gewiss zum Teil an ihre Kinder weitergegeben. Es ist klar, dass nicht alle Kambodschaner gleich feindselig und misstrauisch sind, aber einen Teil ihrer Geschichte zu kennen, lässt mich etwas mehr Verständnis aufbringen für diejenigen, die eben doch so sind.
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