Qom – religiöses Zentrum des Iran

23 12 2011

“Was willst du denn in Qom?”, “Nee, fahr da nicht hin..” So und ähnlich lauteten fast ausnahmslos die Reaktionen derjenigen Iraner, denen ich erzählte, dass ich unbedingt nach Qom will.

Qom liegt etwa 150 km südlich von Tehran und verfügt über eine der heiligsten Stätten der Schiiten: die Grabmoschee der Fatima. Diese war Schwester des siebten und Tochter des achten Imam (der in Mashad beigesetzt ist). Im Jahr 816 unternahm sie eine Reise, auf der sie schwer erkrankte. Daraufhin wurde sie nach Qom zurück gebracht, wo sie starb und beigesetzt wurde. Das Grabmal hatte anfangs nur regionale Bedeutung, mittlerweile pilgern jedoch Millionen von Schiiten jährlich dorthin.

Im letzten Jahrhundert erlangte Qom zudem durch seine Religionsschulen große Bedeutung. Viele wichtige Persönlichkeiten der iranischen Politik haben ihre Ausbildung in Qom erhalten, so auch Khomeini, der Führer der Revolution von 1979.

Wie man sich denken kann, ist Qom noch “chadorianer” als Kashan. Zwei der Schwestern meiner Freundin meinten, sie wollten besser nicht aus dem Auto aussteigen, weil sie mit ihren Mantos (und ihren geschminkten Gesichtern) nicht angemessen gekleidet waren. Also sind wir erst nur am Heiligtum vorbeigefahren, das man schon von weitem sah:

IMG_8768 Qom kompr. 

Und Mullahs überall! Mullahs sind schiitische Gelehrte, die unter anderem eine Art Turban tragen und zwar entweder einen schwarzen oder einen weißen. Der schwarze zeigt, dass die Person direkt von einem der zwölf Imame abstammt, der weiße ist ein Normalo.

Auf dem obigen Foto seht ihr also einen besonderen Mullah (wenn ihr ihn überhaupt seht, weil er so dunkel gekleidet ist Zwinkerndes Smiley), einen Nachfahren eines Imam, während das folgende Bild einen Normalo-Mullah zeigt:

IMG_8771 kompr.

Zurück zum heiligen Schrein, an dem wir erst mal vorbei gefahren sind, wobei mein Herz blutete, weil die Mädels aufgrund des fehlenden Tschadors nicht aussteigen wollten!! Bevor ich in Tränen ausgebrochen bin, haben sie dann aber doch noch eine Lösung gefunden und die konservativste Schwester hat sich mit mir aus dem Auto gewagt!! Nach ein paar Metern waren wir auch schon am Eingang, wo wir uns dann schnell einen Tschador übergeworfen haben. Und dann nochmal ein aufregender Moment: Komme ich überhaupt rein?! Denn Nicht-Muslimen ist der Zutritt eigentlich verboten, weshalb ich keinesfalls meinen englisch sprechenden Mund aufmachen durfte! Aber keiner hat was gesagt (juhuuuuu!!!!) und schon war ich mittendrin und ließ mich mit offenem Mund von meiner Begleiterin durch das Heiligtum ziehen.

Wow! Mann, bin ich froh über diese Erfahrung!!!! Eigentlich hatte ich kaum Zeit, die Schönheit des Ortes und seiner Architektur zu würdigen, zu groß waren das Gedrängel und die Eindrücke, die auf mich einströmten. Da ich aber mittlerweile schon mehrere solcher Heiligtümer gesehen hab (allen voran das in Rey, das ich noch viel beeindruckender fand als das in Qom), war das halb so schlimm und ich konnte mich voll auf das Gewusel konzentrieren.

Drei Mal dürft ihr raten: Man durfte drinnen keine Fotos machen und so kann ich als Beweis nur das folgende Foto im Innenhof anführen:

IMG_8775 kompr.

Dann das übliche Prozedere: Fraueneingang suchen, Schuhe ausziehen, in eine Plastiktüte stecken (die man irgendwie zusätzlich zum Tschador festhält), nochmal Kopftuch und Tschador zurechtrücken, damit keine Haare raus kucken und dann – Vorhang auf (wirklich!) und ich bin mittendrin. Um mich herum lauter schwarz verschleierte Frauen, die sich gegenseitig nach vorne schieben, der Geruch von verbrauchter Luft und ein Geräuschpegel, bei dem ein katholischer Priester wahrscheinlich in Ohnmacht fallen würde. Ein kleines Kind schreit, die Frauen rufen sich gegenseitig etwas zu und alle drängen zum etwa 2,50m hohen Schrein, der zur Hälfte von der Frauen- und zur anderen Hälfte von der Männerseite zugänglich ist. Mittendrin im Gewühl stehen streng verschleierte Frauen mit Staubwedeln, die die Menge dirigieren, mit ihren Staubwedeln gegen Fotoapparate klopfen, um das Fotografier-Verbot durchzusetzen oder auf zurückgerutschte Kopftücher und Tschador hinweisen.

Ich stehe ca. 5 Meter vor dem Schrein, vor mir ein drängendes Frauenmeer. Alle wollen unbedingt den Schrein berühren! Nachdem ich einmal halbherzig und natürlich erfolglos den Versuch gestartet hab, in die Nähe des Objekts der Begierde zu gelangen, sage ich meiner Begleiterin, dass es mir wirklich nicht wichtig ist, den Schrein zu berühren. Sein Anblick und der der Frauen davor genügen mir schon. Aber sie besteht darauf und da ich nicht unhöflich sein will, stürze ich mich in den Kampf (denn es ist ein Kampf) und – es hat sich gelohnt! Das Gedrängel war schlimmer als auf einem Kelly-Konzert, denn wie ich schon öfter bemerkt hab, sind die Iraner sehr gut im drängeln, während ich totale Hemmungen hab, irgendwen nach vorne oder zur Seite zu schubsen oder gar meine Ellbogen einzusetzen! Meine Freundin erzählte mir später von ihren Erfahrungen im heiligen Schrein in Mashad: während sie versucht den Schrein zu erreichen, fing die hinter ihr stehende Frau doch tatsächlich an, ihr auf den Kopf zu hauen, um sie aus dem Weg zu drängen!!!!!!! Was hat das alles mit Glaube und Religion zu tun? fragte ich mich, während ich mich vorkämpfte, wobei ich natürlich meinen Tschador nicht loslassen durfte. Und dann — dann habe ich ihn berührt! Zwar nur mit der Fingerspitze, aber das war genug. Schwupp die wupp, war ich auch schon wieder zurückgedrängt worden, nur ein Teil meines Tschadors hing noch zwischen den Frauen! Aber ich konnte ihn befreien und wir gingen weiter. Überall Frauen, stehend, schubsend und auf dem Boden sitzend, betend oder den Koran lesend. Wie haben sie die Ruhe dazu?? fragte ich mich erstaunt, während ihnen andauernd jemand vor der Nase herumläuft und es total laut ist? Dieses Geheimnis konnte ich nicht lüften…

Weiter ging es. Alle Räume sind mit Teppichen ausgelegt – logisch, dass man da hin und wieder mal staubsaugen muss! Und so war es dann auch, zwischen den betenden und telefonierenden (!) Frauen wurde gestaubsaugt, während meine Begleiterin mich weiter hinter sich her zog, Hand in Hand, um uns nicht zu verlieren. Ups, da bin ich jemandem auf dem Tschador getreten – sorryyyyyyy…. Mein Tschador rutscht, aber der meiner Begleiterin zum Glück auch, es geht also wohl allen so…

Wo ist denn jetzt der Ausgang? Nee, falscher Vorhang. Weiter. Ein Mädel telefoniert nicht nur, sondern lädt ihr Handy gleichzeitig an einer der Steckdosen auf. Ich bin weiterhin sprachlos und staune.

Dann plötzlich: der richtige Vorhang und wir sind wieder draußen an der kalten Luft. Wow – was für eine Erfahrung!!

 

Nachtrag: Es liegt mir fern, mich über irgendetwas lustig zu machen. Ich staune einfach nur darüber, wie unterschiedlich Glaube und Kultur in den verschiedenen Ländern Ausdruck finden! Für meine Begriffe sind die Ruhe, die Stille, die Möglichkeit der Einkehr und der Respekt voreinander wesentliche Bestandteile des Christentums und auch, wenn ich nicht religiös bin, bin ich doch in dieser Kultur aufgewachsen und habe diese Vorstellungen übernommen. Jetzt zu sehen wie Menschen ihre Religion praktizieren, offensichtlich ohne Wert auf diese Dinge zu legen, lässt mich einfach staunen.

Und noch ein kleiner Nachtrag: Mir wurde gesagt, dass zur offiziellen Gebetszeit Ruhe einkehrt.



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6 Antworten zu “Qom – religiöses Zentrum des Iran”

  • eli sagt:

    hahaha, gedränge schlimmer als bei den kellys 🙂

  • Bella sagt:

    Jaaa jaaa, kaum vorstellbar, aber wahr!! 😉

  • Babak sagt:

    salam,
    danke für die Erzählung; sie war bildhaft, lebendig und ich konnte fast die Käsefüße riechen. Dein Nachtrag ehrt Dich. Hier treffen aber zwei Welten aufeinander und lustige Situationen ergeben sich von ganz alleine. Deshalb war Dein Eintritt eigentlich auch verboten 😉
    Ich habe Tränen gelacht.

    Viele Grüße aus Bayern, Babak.

  • Bella sagt:

    Es freut mich sehr, dass du den Bericht lustig fandst, dass du aber gleichzeitig auch verstanden hast, dass ich mich nicht lustig mache. Es war wirklich eine sehr beeindruckende Erfahrung!

  • Babak sagt:

    Hallo nochmal ! (salam aleikom)
    ich finde in der Tat Deinen Vergleich mit „Kelly-Konzert“ sehr sehr zutreffend. Dein Feingefühl, diese Situation Aussenstehenden nahe zu bringen ist phänomenal.

    Hier ein Versuch zum besseren Verständnis von dem Gedränge meinerseits:
    Stell Dir vor, Du hast Deine Mutter nie gesehen. Du hast Zuhause immer auf sie gewartet. Ihre Liebe hast Du immer gespührt, wie auch die tiefe Sehnsucht in Dir, ihr nur einmal zu begegnen.
    Nach vielen Jahren nimmst Du eine beschwerliche Reise auf Dich, um mit Deinen Geschwistern nach der verloren gegangenen Liebe zu suchen.

    Da ist sie!

    Mitten in einem Raum voller Menschen, die sie ebenfalls nur kurz berühren wollen. Obwohl Du spührst, dass sie alle Deine Schwester sind, setzt Dein Verstand völlig aus. Du hast nur noch eines im Kopf. Sie berühren, wenn auch nur für eine Sekunde.

    Es soll Menschen geben, die in solchen Momenten ohne zu zögern, ihr Leben für eine Berührung hergeben würden.

    Ich habe das Wort schon genannt: Liebe.

    Der Grund, warum wir geboren wurden und häufig genug der Grund, warum wir das Gegenteil auf der Welt verbreiten.

  • Bella sagt:

    Vielen lieben Dank für dein Kompliment, das freut mich wirklich sehr. Danke auch für deine interessante Erklärung.

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