Jerusalem (Teil 3) – Siedler und wie ich protestierte
12 01 2012“Es ist nicht Palästina, das die Zwei-Staaten-Lösung nicht will, sondern Israel”. Nachdem ich den anfänglichen Schock über diese Aussage unserer Guides überwunden hatte, wurde sie zu einem Aha-Erlebnis. Irgendwie passt jetzt alles viel besser zusammen! In unseren Medien wird uns immer suggeriert, dass es die Palästinenser sind, die die Zwei-Staaten-Lösung verhindern, vor allem weil sie Israel partout nicht anerkennen wollen (was nicht stimmt, die PLO – unter Jassir Arafat – hat Israel schon 1993 anerkannt), aber Israel ist das Land, das sich ständig über Vereinbarungen (z.B. den Siedlungsbau betreffend) hinwegsetzt.
Wie schon im letzten Artikel geschrieben, ist die Westbank in drei Zonen unterteilt, von denen die größte die unter israelischer Kontrolle stehende Zone C ist. In diese Zone haben die Palästinenser keinen oder nur eingeschränkt Zugang.
Die folgenden Karten zeigen, wie sich das Land der Palästinenser im Laufe der Zeit verkleinert hat und dass es heute nur noch aus einem relativ unzusammenhängenden Gebiet besteht.
Nochmal kurz zur Erinnerung: Israel wurde 1948 gegründet, die erste Karte zeigt das Gebiet also vor der Gründung. Die zweite zeigt den UN-Teilungsplan (steht ja auch da ). Was übrig blieb, nachdem mehrere arabische Staaten Israel direkt nach seiner Gründung angriffen, sieht man auf der dritten Karte. Dann kam der Krieg von 1967, bei dem Israel die gesamte Westbank besetzte. Erst 1993 begann der Aufteilungsprozess (Oslo-Abkommen), dessen heutigen Stand man auf der vierten Karte sieht (da die Palästinenser keinen oder nur eingeschränkten Zugang zur Zone C haben, wird sie auf dieser Karte als zu Israel gehörig eingezeichnet, deshalb ist die Westbank hier so zerstückelt).
Das Land der Palästinenser schrumpft und schrumpft also und so ist es kein Wunder, dass sie fürchten, es komplett zu verlieren. Im Übrigen fordern die Palästinenser bei den Verhandlungen immer nur ihr Land in den Grenzen von vor ‘67 zurück (dritte Karte).
Wie auch schon im letzten Bericht erwähnt, sind die Siedler ein großes Thema (als Mittel zum Landgewinn), so dass ich jetzt ein bisschen über sie schreiben will. Zunächst: Als Siedler werden diejenigen Israelis bezeichnet, die in der Westbank (den Gaza-Streifen lasse ich weiterhin außen vor) in Gruppen, also in Siedlungen wohnen. Es lassen sich zwei Gruppen von Siedlern unterscheiden: die Religiösen und die, die aus finanziellen Gründen siedeln.
Die religiösen Siedler sind der Ansicht, dass auch die Westbank den Juden gehört, denn Gott hat ihnen dieses Land versprochen. Er hat Abraham und seinen Nachfolgern dieses Land gegeben und nirgendwo war die Rede davon, dass man es mit Palästinensern teilen müsse, also ist es jüdisches Land und man muss es besiedeln. Viele dieser Siedler kommen aus USA, speziell aus Brooklyn und haben vorher nicht in Israel gewohnt. Sie ziehen sofort in die Siedlungen.
Was ich übrigens sehr lustig fand, apropos Land besiedeln: Gott hat Abraham das Land gegeben und gesagt, er soll es mit Menschen füllen – deshalb bekommen orthodoxe Juden so viele Kinder!! Sie bemühen sich immer noch, das Land zu füllen! Ich muss gestehen, ich habe mich kaputt gelacht als ich das gehört hab.
Die zweite Siedler-Gruppe besteht aus Israelis, die aus finanziellen Gründen siedeln. Der israelische Staat unterstützt sie finanziell (ich weiß nicht genau wie, ich glaube unter anderem durch Steuererleichterungen) und zudem kostet eine Wohnung in einer Siedlung viel weniger als sie in Israel kosten würde. In Jerusalem zahlt man für eine Wohnung in einer Siedlung etwa ein Viertel dessen, was sie in anderen Teilen der Stadt kosten würde.
Ob der Anteil der religiösen oder der “Wirtschaftssiedler” größer ist, hängt von der jeweiligen Siedlung ab.
Es gibt auch zwei Arten von Siedlungen: Auf der einen Seite die, die speziell für die Siedler errichtet werden (sah man ja auf dem einen Foto, das ich vom Flüchtlingslager aus gemacht habe, wo man rechts die fein säuberlich angeordneten Häuser der Siedlung sah). Dann gibt es aber auch Siedler, die in palästinensische Häuser reingesetzt werden. Soweit ich verstanden habe, gibt es auch hier wieder zwei Fälle:
Nach der Aufteilung des Gebiets gemäß dem UN-Teilungsplan mussten einige Juden Palästina verlassen und ihre Häuser dort zurücklassen. In diese sind Palästinenser gezogen, die dort seit mittlerweile über 60 Jahren wohnen. Da die Häuser aber ursprünglich mal Juden gehört haben, werden sie jetzt zurück gefordert – in den aller seltensten Fällen von den Besitzern selbst. Die Palästinenser werden rausgeworfen und es ziehen jüdische Siedler ein. (Es ist natürlich klar, dass Palästinenser im Gegenzug nicht ihre Häuser zurück fordern können, die auf israelischem Terrain liegen.) Wie das im einzelnen funktioniert, in wie weit der israelische Staat das fördert oder nur duldet, muss ich noch rausfinden.
Der andere Fall hängt mit dem illegalen Häuserbau zusammen: Die palästinensische Bevölkerung wächst und braucht demzufolge mehr Wohnfläche. Um bauen zu können, müssen sie aber die Genehmigung der israelischen Behörden haben. Die Bearbeitung einer solchen Genehmigung dauert mehrere Jahre und wird dann nur selten positiv beschieden. Tatsächlich gewährt werden Baugenehmigungen nur im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Da die Palästinenser aber Platz zum wohnen brauchen, bauen sie trotzdem, was von den Israelis dann als illegaler Häuserbau gesehen wird. Solche Häuser werden entweder abgerissen (die bekannten “house demolitions”) oder es werden Siedler hineingesetzt.
Kleiner Einschub: Im Fall des Abrisses werden rund 12.000€ fällig, die der palästinensische Hausbesitzer zu tragen hat. Das heißt: eine palästinensische Familie wächst und braucht mehr Wohnfläche. Da die Wahrscheinlichkeit, eine Baugenehmigung zu bekommen, sehr gering und mit viel Warterei verbunden ist, bemühen sie sich wahrscheinlich gar nicht erst, sondern bauen einfach, denn irgendwo müssen sie ja wohnen, das heißt sie investieren Geld. Dann kommt mit ein wenig Pech der israelische Staat, reißt das Haus ab und die dort lebenden Leute stehen nicht nur ohne Zuhause da, sondern haben darüber hinaus noch um die 12.000€ Schulden, weil sie den Abriss selbst bezahlen müssen.
Zurück zu den Siedlern: Ein in Jerusalem bekannter Fall ist der von Sheikh Jarrah, nur etwa zehn Autominuten von der Altstadt entfernt (natürlich in Ost-Jerusalem). Es gibt Pläne einer Siedlungsorganisation, dieses palästinensische Viertel komplett zu zerstören und eine Siedlung mit 200 Häusern dort entstehen zu lassen. Im Moment konzentriert sich die Aufmerksamkeit vor allem auf einen Fall: Eine Familie, die wir im Rahmen der politischen Tour durch Jerusalem besucht haben, lebte dort in einem kleinen Häuschen und als es zu eng wurde, haben sie nach vorne angebaut. Ohne Genehmigung, also illegal. Seit einiger Zeit leben im vorderen Teil nun vier jugendliche Siedler, alle um die 20, die sich nicht gerade gut in die Gemeinschaft integrieren, um es mal so zu sagen. Sie bespucken die Kinder der Nachbarschaft oder verkloppen sie, wie mir unter anderem unser Guide erzählte, der es selbst gesehen (und sich eingemischt) hat.
Aber nicht genug damit, sondern jetzt soll diese Familie, die nur noch im hinteren Teil ihres Hauses wohnen dürfen, entweder Miete an die Siedler zahlen oder sie werden zwangsgeräumt. Diese Räumung steht in den nächsten Tagen an.
Hier ein Foto des vorderen Hausteils, in dem jetzt die Siedler wohnen – wie mein Bruder schon feststellte ist das ja auch nicht gerade ein Ort, an dem man uuuunbedingt leben will…
Dem gegenüber liegt ein Haus, das bereits zwangsgeräumt wurde. Dort lebt nun eine jüdische Familie aus Brooklyn. Die palästinensische Familie lebte fünf Monate in Zelten auf der Straße vor ihrem eigenen Haus. Aus Angst, ihre Ansprüche auf das Haus vollends zu verlieren, haben sie sich nicht bei den Strom- und Wassergesellschaften abgemeldet, um mit den Rechnungen vielleicht irgendwann einmal nachweisen zu können, dass es sich um ihr Eigentum handelt. Das heißt die aus ihrem Haus geworfenen Palästinenser zahlen jetzt Strom und Wasser für die jüdischen Siedler. Verrückt.
Was, wie ich finde, auch viel aussagt über die Siedler und ihre Einstellung, ist dass sie ihre Häuser mit israelischen Flaggen schmücken, so dass auch jeder sehen kann, dass hier Juden wohnen – provokativer geht’s wohl kaum.
Die meisten Siedler bleiben übrigens nur etwa für sechs Monate in solchen Häusern, dann werden sie von der Siedlerorganisation ausgetauscht, weil es ja nicht gerade ein Honigschlecken ist, da so im Feindesland zu wohnen. Warum sie es trotzdem tun? Selbstloser Dienst am eigenen Land.
Wie gesagt hat uns unsere politische Tour nach Sheikh Jarrah geführt. Unser Guide hat uns eine alte Frau der Familie vorgestellt, die, wie ich annehme, das weibliche Familienoberhaupt war. Wir hätten sie auch etwas fragen können, aber wir waren alle so sprachlos… Was soll man da noch fragen? Und so haben wir die arme Frau nur betroffen angeschwiegen bis zum Glück eine aus der Gruppe auf die Idee kam, wenigstens unsere Anteilnahme auszudrücken.
Ein paar Tage später habe ich Tali zum ersten Mal getroffen, bei der ich gecouchsurft hab. Es stellte sich heraus, dass sie am nächsten Tag zu einer Demo gegen die Siedlungen in Sheikh Jarrah, speziell gegen die Zwangsräumung dieses einen Hauses gehen wollte, die vor allem von israelischen Aktivisten organisiert wurde (es sind ja nicht alle Israelis rechte Extremisten…). Und ich durfte mit .
Natürlich bin ich nicht blauäugig zur ersten Demo gerannt, die mir begegnete, sondern hab mich vorher lange mit Tali darüber unterhalten, bis ich den Eindruck hatte, sie weiß, was sie tut und geht kein zu großes Risiko ein. So sagte sie mir zum Beispiel, dass sie immer darauf achtet, dass die Demos angemeldet sind, damit “Aufpasser” dabei sind, die die Demonstranten im Notfall schützen können. Wieso das nötig ist, wurde mir erst klar, als ich selber mitgegangen bin…
Wir sind in West-Jerusalem losgelaufen, über ein paar Einkaufsstraßen bis zum Beginn der Altstadt, dann (von außen) an einer großen Straße an der Altstadt-Mauer entlang bis nach Ost-Jerusalem und Sheikh Jarrah. Die Plakate forderten “Stop Occupation”, “Free Sheikh Jarrah” oder auch “Eree Palestine”. Mit lautem Getrommel, ein paar Trillerpfeifen und Slogans auf Hebräisch (und womöglich auch auf Arabisch) ging’s los:
Schon auf den ersten hundert Metern wurde mir klar, dass das hier irgendwie was anderes ist als zum Beispiel in Aachen gegen Nazis zu protestieren. Da geht man ja null Risiko ein und trifft auf keinerlei Widerstand. Anders bei dieser Demo: ich war nicht gefasst auf soviel Aggression seitens der Israelis! Schon nach etwa 50 Metern lief ein vielleicht 60-jähriger Mann mitten durch die Demonstranten, rempelte sie an und schlug die Plakate runter (beeindruckt hat mich, dass keiner von den Teilnehmern in irgendeiner Weise aggressiv reagiert hat, die Betroffenen haben ihre Plakate aufgehoben und ihn keines Blickes gewürdigt – wow). Andere Passanten zeigten Mittelfinger oder brüllten uns irgendwas entgegen, meist auf hebräisch, so dass ich es nicht verstehen konnte. Viele waren wirklich außer sich vor Empörung und einer schrie “don’t fuck with the arabs!!” Wie Tali mir später sagte, war das auch einer der Sätze, der auf hebräisch sehr oft fiel.
Wieder einige Meter weiter griff ein Passant einen der Demonstranten an und wollte ihn schlagen, aber da griff dann zum Glück einer der Aufpasser ein (da wusste ich dann wofür sie gut waren, auch wenn ich fand, sie hätten etwas zahlreicher erscheinen können…).
Wieder ein Stück weiter kam ein Stein geflogen. Ich glaube, ich war die einzige, die etwas Angst hatte, alle anderen waren es ja schon gewohnt: die verbalen Aggressionen, aber auch mit Eiern oder Wasser beworfen zu werden. Aber vor den Steinen hatte ich echt Angst – zum Glück blieb es bei einem.
Es war wirklich etwas gruselig so durch West-Jerusalem zu laufen. Viele Autofahrer brüllten etwas aus dem Fenster (und zeigten Mittelfinger) und wenn wir eine Straße überquerten, rechnete ich immer halb damit, dass einer einfach Gas geben und uns platt fahren würde. Ich musste auch daran denken, wie viele Israelis Zugang zu einer Waffe haben und dass ein Bekloppter reichen würde, der sie einfach mal benutzen würde. Aber zum Glück ist nichts passiert.
Ich kann mich nur an eine positive Reaktion in West-Jerusalem erinnern und die stammte von einer Autofahrerin, die im Rhythmus unserer Trommeln ihre Hupe betätigte.
Während dieser Demo habe ich mich eher als Außenstehende gesehen, als Art Zuschauerin, denn ich war das erste Mal dabei, während alle anderen meist wöchentlich für Sheikh Jarrah protestieren. Was für ein Mut, echt!!!! Ich muss gestehen, ich weiß nicht, ob ich jede Woche mitgehen würde, denn schön war es wirklich nicht und der Gedanke, irgendwann doch einen Stein an den Kopf zu bekommen…… hmmm…. Ich habe einen riesigen Respekt vor diesen Jungs und Mädels, die sich wöchentlich dem Hass ihrer eigenen Bevölkerung aussetzen, um die Palästinenser zu unterstützen!
Als wir an der Altstadt-Mauer ankamen, entspannte sich die Situation etwas und es wurden sogar zwei Palästina-Flaggen ausgepackt. In West-Jerusalem wär das zu viel des Guten gewesen, wie mir Tali erklärte. Als ich sie fragte, was denn da handgeschrieben auf einer der Flaggen stünde, sagte sie mir, das heiße “Intifada” auf Arabisch und sie sagte mir, dass sie mit einem der Demonstranten darüber diskutiert habe, ob das denn wirklich sein muss, denn schließlich war die Intifada gewaltsam, worauf er sagte, es sei eben die einzige Möglichkeit der Palästinenser sich zu wehren. Und so ist auch diese Gruppierung nicht wirklich geeint: manche sind radikaler als andere, aber am Ende laufen sie eben doch zusammen, weil sie das gleiche Ziel haben.
Der Junge mit der Fahne ist sozusagen das Symbol der Proteste. Er ist zehn Jahre alt, wohnt in Sheikh Jarrah und übernimmt die Aufgabe, die sonst keiner wirklich gerne hat: Er ist der “Vorbrüller” der Slogans, die ihm dann alle nachbrüllen. Und er macht seine Sache richtig gut!
Je weiter wir nach Ost-Jerusalem rein kamen, desto weniger Israelis gab es natürlich, die uns beschimpfen konnten. Statt dessen sah man öfter mal lächelnde palästinensische Gesichter oder erhobene Daumen. Aber ich muss sagen, ich war erstaunt, wie oft man auch in ausdruckslose Gesichter kuckte. Ob sie resigniert haben und finden, dass es nichts bringt? Oder ob sie es Israelis nicht abnehmen, wenn sie für Palästina protestieren? Dass nämlich nicht alle Palästinenser von Israelis begeistert sind, die ihre Partei ergreifen, habe ich auch noch später im Flüchtlingslager festgestellt, aber dazu später.
In Sheikh Jarrah angekommen, blieben Tali und ich zurück, um uns mit jemandem zu unterhalten, während die Gruppe schon die Straße zum besetzten Haus runterlief. Als wir endlich unten ankamen, sahen wir einen fetten Siedler (er war wirklich richtig fett) mit einer Wunde unter dem rechten Auge, aus der ziemlich viel Blut auf sein Hemd tropfte. Er war mit seinem Hund aus dem Haus gekommen. Manche der Demonstranten sagten, er habe den Hund auf eins der Kinder hetzen wollen (die, die auch bespuckt werden), andere sagen, er wollte sie mit dem Hund nur erschrecken. Jedenfalls hat ein Kind einen Stein genommen und ihn dem Siedler ins Gesicht geworfen. Ich muss ja wohl nicht dazu sagen, dass ich Steine werfen nicht als die richtige Art des Protests sehe, aber beim Anblick des Typen, der keinerlei Anstalten machte, sich das Blut abzuwischen, sondern damit munter in alle Kameras poste (ich bin mir nicht sicher, ob auch Presse da war, aber ganz vorne war einer mit einer grooooßen Kamera), hätte ich fast gekotzt. Dann kam die Polizei – lange vor dem Krankenwagen, denn man muss ja Prioritäten setzen. Bis dahin waren die Kinder verschwunden. Ihr Glück, denn die israelische Polizei hat kein Problem damit, Zehnjährige festzunehmen – solange sie Palästinenser sind.
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Hier noch ein Link zu einem sehr guten und dabei relativ kurzer Artikel zum Thema Palästina: Selbst die EU merkt jetzt, dass die Chancen für einen palästinensischen Staat schwinden.
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