Jerusalem (Teil 4) – Flüchtlingslager Shuafat

12 01 2012

Wie schon geschrieben, habe ich über Tali jemanden kennengelernt, der im Flüchtlingslager Shuafat wohnt und mich und Tali dorthin eingeladen hat. Es liegt etwa 15 Bus-Minuten von Ost-Jerusalem entfernt, ist das einzige Flüchtlingslager innerhalb Jerusalems und wird zusammen mit zwei angrenzenden Dörfern komplett von einer Mauer eingekreist. Für das große Gebiet gibt es sage und schreibe zwei Checkpoints, die als Ein- und Ausgang dienen.

Wenn man im Zusammenhang mit Palästina von Flüchtlingen spricht, sind zwei Gruppen gemeint: Als das Land 1948 aufgeteilt wurde, mussten viele Palästinenser ihr in Jetzt-Israel liegendes Zuhause verlassen und in das Gebiet ziehen, das den Palästinensern zugewiesen worden war. Das sind die Flüchtlinge von ‘48. Dann sind da noch die Flüchtlinge von ‘67, als Israel Ost-Jerusalem und die Westbank besetzte. Sie stammen zum Beispiel aus der Ost-Jerusalemer Altstadt nahe der Klagemauer. Wie ich ja schon an anderer Stelle geschrieben habe, war der Platz vor der Klagemauer besiedelt und wurde nach der Eroberung angeblich aus Sicherheitsgründen geräumt. Seine Bewohner wurden in Flüchtlingslager verfrachtet.

In Shuafat leben Flüchtlinge von ‘48 und ‘67. Manche gehören auch beide Gruppen an, wie die Großmutter von Talis Freund. Sie kam ‘48 nach Ost-Jerusalem in die Altstadt und wurde ‘67 auch von dort vertrieben.

Nach vier ein halb Jahrzehnten ist das Flüchtlingslager heute weit von einer provisorischen Zeltstadt entfernt, wie man sie sich vielleicht vorstellen mag, wenn man den Begriff “Flüchtlingslager” hört. Stattdessen finden sich dort dicht gedrängt mehrstöckige Wohnhäuser sowie asphaltierte Straßen.

Hier ein Bild von Shuafat (von der jüdischen Siedlung gegenüber aus fotografiert):

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Ein Problem, das man auf dem Foto gut sieht, ist der Müll. Im Flüchtlingslager kümmert sich nicht etwa die (israelische) jerusalemer Stadtverwaltung um die Müllabholung, sondern eine Unterorganisation der UNO. Warum die das aber offensichtlich nicht richtig hinkriegen, verstehe ich auch nicht.

Es ist leicht zu erkennen, dass der mangelnder Platz ein großes Problem ist. Durch die Mauer können das Lager und seine zwei angrenzenden Dörfer sich nicht mehr ausbreiten und das trotz wachsender Bevölkerung. Zudem werden so gut wie keine Baugenehmigungen erteilt. Was zu nah an der Mauer gebaut wird, wird sowieso abgerissen. Aber da die Leute ja irgendwo hin müssen mir ihren wachsenden Familien, bauen sie trotzdem und zwar nicht nur ein paar kleine Häuschen, sondern mehrstöckige Gebäude wie dieses hier:

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Solche Gebäude werden meist von geschäftstüchtigen Investoren gebaut, denn bauen ist hier preiswert und die Nachfrage ist groß, das heißt die Preise steigen. Gutes Geschäft also…

Auch das (sich im Bau befindliche) Haus, auf dem wir da gerade stehen, wird ohne Genehmigung errichtet. Vor einiger Zeit wurden mehrere Häuser in Shuafat demoliert. Diejenigen, die verschont blieben (wie die Familie von Talis Freund), sagen jetzt, dass die Israelis alles demoliert haben, was sie wollten und dass ihnen der Rest egal ist, dass der Rest also stehen bleibt. Ich weiß nicht, ob da nur die Hoffnung spricht oder ob den Israelis jetzt wirklich egal ist, was da hinter diesen Mauern vor sich geht, da sie Shuafat ja sowieso aus Jerusalem ausgliedern wollen.

Während wir mit Talis Freund durch die Straßen laufen, bleibt plötzlich ein Auto stehen und ein junger Mann steigt aus, den Talis Freund wohl kennt. Er sagt uns freundlich aber bestimmt, dass es ihn überhaupt nicht freut, uns hier zu sehen; wir (er hielt mich auch für eine Israelin) hätten ja gar keine Ahnung, wie das Leben dort überhaupt sei. – Deshalb bin ich ja hier, antwortet ihm Tali, aber das kann seine Meinung nicht ändern. Er will uns nicht da haben, steigt in sein Auto und fährt weg.

Keiner von uns dreien versteht diese Einstellung. Talis Freund sagt, wenn er auf solche Leute trifft, versucht er sie davon zu überzeugen, dass die Israelis, die auf der palästinensischen Seite stehen, ihnen doch vielleicht helfen können, aber davon wollen sie nichts hören. Es ist seltsam. Da hat man eine so geschwächte Gruppe wie die Palästinenser, die doch über jede Unterstützung froh sein sollten und dann gibt es doch immer wieder welche, die weiter Gräben ziehen. Wozu, wenn man doch das gleiche Ziel verfolgt? Ich sage ja: es ist kompliziert…

Die Probleme in Shuafat sind wohl vielfältig und ein Besuch von ein paar Stunden reicht wohl kaum aus, um sie zu erfassen. Wie Talis Freund uns sagt, spielen Drogen und Kriminalität eine große Rolle. Ein wichtiger Grund dafür ist wohl, dass die Kinder und Jugendlichen hier kaum etwas zu tun haben. Es gibt keine Spielplätze, es gibt keine Einrichtungen, in denen sich Jugendliche aufhalten können usw. Talis Freund und einer seiner Freunde, den ich ebenfalls kennengelernt habe, arbeiten mit Jugendlichen im Camp (immerhin bezahlt von der Jerusalemer Stadtverwaltung!). Sie haben eine Capoeira-Gruppe ins Leben gerufen und wenn ich mich richtig erinnere, auch einen Fußball”verein”. Das ist schön und super und ich bewundere sie für die Arbeit, die sie machen, aber am Ende ist es doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein, denn nur ein Bruchteil der Jugendlichen kann teilnehmen (es sind einfach zu viele) und zudem sind es höchstens ein paar Stunden der gesamten Woche, die die Jugendlichen dort aktiv sind. Aber wie auch immer, es ist wie ein kleiner Lichtblick in der Düsternis.

Talis Freund organisiert seit etwa einem halben Jahr auch regelmäßige Musik-Abende, auf denen arabische und hebräische Musik (live) gespielt wird und die arabischen und israelischen Besucher zum Mitsingen animiert werden. Die Texte werden auf Papier inklusive Übersetzung in die jeweils andere Sprache verteilt und gleichzeitig mit dem Projektor an die Wand geworfen. Ich hatte Glück und es fand solch ein Abend statt, während ich da war und so bin ich mit Tali hingegangen und es war richtig cool! Irgendwann haben alle, alle getanzt und es war einfach super! Bevor es mit dem Singen losging, führten die Jugendlichen der Capoeira-Gruppe ihr Können auf – super!

Ich glaube ja, dass das Initiativen sind, die Hoffnung auf Frieden bringen, denn hier werden Vorurteile abgebaut, es findet Kommunikation zwischen Arabern und Juden statt und man sieht, dass man sich gar nicht hassen muss. Auf der anderen Seite ist klar, dass nur diejenigen Leute zu solchen Veranstaltungen kommen, die sowieso keine großen Vorurteile haben.. Naja, es war jedenfalls super.

An dem Abend war übrigens auch ein junger Palästinenser da, ich schätze mal so Mitte/Ende 20, der tatsächlich tanzte wie eine arabische Bauchtänzerin. Es war so krass!! Leider wurde ihm diese Leidenschaft aber zum Verhängnis, denn seine Familie war not amused über seinen Tanz und seine recht offensichtlichen homosexuellen Neigungen und hat ihn aus der Familie verstoßen. Talis Freund hat ihn an eine Organisation weitervermittelt, die sich um solche Probleme kümmern und erzählte von zwei jungen Arabern, denen das gleiche passiert war. Sie gingen nach Tel Aviv, eine Stadt, die bekannt ist für ihre Offenheit und Toleranz gegenüber Homosexualität, aber dort wurde ihre Herkunft zum Problem: keiner wollte Araber anstellen. Schlussendlich sind beide in der Prostitution gelandet.

Zurück zum Flüchtlingslager: Ich habe nicht viele Fotos gemacht, weil ich mir etwas blöd dabei vorkam.. Aber gleichzeitig wollte ich welche machen, um sie euch zu zeigen, hier also die magere Ausbeute:

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Das rosa Häuschen ganz vorne existierte schon vor dem Mauerbau und darf großzügigerweise deshalb dort stehen bleiben. Ein Stück dahinter sieht man ein halb fertiges Haus. Es wurde nach dem Mauerbau begonnen – zu nah an der Mauer, wie die Israelis sagten, so dass es sowieso abgerissen werden würde, worauf der Bau eingestellt wurde.

Und gegenüber des Betonchaos’ die schöne idyllische jüdische Siedlung mit viel Platz drum herum:

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Ich nehme an, dieser Anblick schafft auch nicht gerade friedvolle Gefühle in den Bewohnern des Flüchtlingscamps… Aber vielleicht sind sie es auch schon so gewohnt, dass sie es gar nicht mehr sehen, wer weiß..

Talis Freund nahm und mit zu seiner Oma, eine liebe, alt aussehende Frau, die so viel im Leben mitgemacht hat wie wahrscheinlich keiner von uns jemals mitmachen wird. Wie schon gesagt, gehört sie zu den Flüchtlingen von ‘48 und ‘67 und lebt seit Jahrzehnten im Flüchtlingslager, wo sie ihre Kinder und Enkelkinder hat aufwachsen sehen. Die Kommunikation war etwas mühsam und fast lustig, da sie nur arabisch sprach, was Talis Freund für letztere ins Hebräische übersetzte, da er kein Englisch spricht, woraufhin Tali es mir dann auf Englisch erklärte. Und wenn ich eine Frage hatte: alles wieder zurück. Daher bin ich mir bei manchen Worten im Folgenden nicht ganz sicher.

Seine Oma erzählte, dass während der ersten Intifada einer ihrer Söhne im Wohnzimmer am Fenster stand, als er plötzlich von einem Schuss kurz unter dem rechten Auge getroffen wurde, das er in der Folge verlor. Wie sie uns sagte, war es offensichtlich, dass der Schuss aus der Waffe eines israelischen Soldaten stammte (außer Steinen hatten die Palästinenser ja gar keine Waffen), aber obwohl die Familie vor Gericht zog, bekam sie nie eine Entschädigung oder ähnliches, sondern musste auch noch die Gerichtskosten tragen.

Dann erzählte sie uns von ihrem kleinen Sohn, der krank war und sich ständig übergeben musste, so dass sie ihn ins Kinderkrankenhaus Shuafats brachte. Dort wurde ihr gesagt, sie solle ihn über Nacht dort lassen und am nächsten Tag abholen. Als sie am nächsten Tag wieder kam, lag das Krankenhaus in Trümmern – eine israelische Bombe war darauf gefallen. Sie suchte ihren Sohn und fand ihn – tot, mit Bomben-/Granat- oder was auch immer für Splittern im Rücken.

Nach dem sehr bedrückenden Gespräch mit ihr gingen wir zu Talis Freund nach Hause, wo seine Frau (und sein sooo süßer dreijähriger Sohn) mit leckerem Essen auf uns warteten. Auch ein paar Freunde und Brüder waren da – habe nie geschnallt, wer zur Großfamilie gehört und wer nicht Zwinkerndes Smiley. Während des Essens fiel plötzlich der Strom aus und wir saßen im Dunkeln, was, wie uns gesagt wurde, etwa zwei, drei Mal die Woche passiert, wenn zu viele Leute auf einmal im Camp Strom ziehen. Im Winter geschieht es aufgrund von Heizgeräten und so weiter häufiger.

Nach dem Essen fuhr uns einer der Freunde, den ich schon auf dem Musik-Abend kennengelernt hatte, nach Hause. Vorher drehten wir aber noch eine Runde durch’s Flüchtlingslager und weiter Probleme wurden deutlich: Es gibt keine Straßenbeleuchtung. “Ach, Details… Wenn das unser einziges Problem wäre..” sagt Talis Freund nur dazu. Für mich als Angsthasen ist es trotzdem wichtig, denn das heißt, dass man da Abends durch stockdustere Gassen laufen muss, was ich nicht lustig fände.

Ist man mit dem Auto unterwegs, stellt man auch fest wie grottig die Straßen sind. Mehr als ein Auto passt nicht durch, das heißt ständig muss einer zurücksetzen, damit der andere durchkommt. Die Straßen sind kaputt, haben zum Teil tiefe Schlaglöcher und sind zudem teilweise auch noch sehr steil. Spaß macht Auto fahren hier bestimmt nicht. Ach ja, Ampeln braucht man hier nicht zu suchen, ist klar, ne?

Kaum sind wir zuhause angekommen, holt uns auch schon Talis Mutter zum all-freitäglichen (Shabbat) Abendessen ab, an dem ich nun schon zum zweiten Mal teilnehmen darf (dazwischen war ich ein paar Tage in Nablus).

Dort treffe ich wieder auf Talis Cousin (etwa in meinem Alter), der wie der größte Teil ihrer Familie rechts steht und den ich schon letztes Mal so gerne zu seiner Meinung interviewt hätte – aber ich hab mich nicht getraut den Familienfrieden zu gefährden! Nach vorheriger Absprache mit Tali, ihrer Schwester und (ebenfalls eher recht stehenden) Mutter, wage ich es dieses Mal aber dann doch und frage ihn nach seiner Meinung in dieser ganzen Sache hier. Vorweg: er ist kein ungebildeter Bild-Leser, sondern studiert (BWL, was sonst?) und ich unterstelle ihm eine gewisse Intelligenz.

Zunächst einmal sieht er die Westbank nicht als besetztes Gebiet, sondern als Israel an. Die Begründung ist erstaunlich: “Die Palästinenser als Volk haben nie existiert (sie waren eher ein Zusammenschluss von Stämmen oder so), demzufolge haben sie auch kein Land.” Oooooookay….. mir war nicht bewusst, dass die Existenz der Palästinenser in Frage steht! Wieder ein Stück komplizierter.

Allgemein ziehe ich aus dem Gespräch mit ihm die Schlussfolgerung, dass er und wahrscheinlich viele andere rechts stehende Israelis nicht wirklich viel über die Situation wissen. Dass die PLO Israels Existenzrecht anerkannt hat, weiß er nicht (dabei haben Jassir Arafat und zwei israelische Politiker sogar einen Friedensnobelpreis dafür bekommen!) und wenn er Siedlungen meint, spricht er einfach von Städten – er differenziert überhaupt nicht. Er erwähnt das Problem, dass palästinensische Kinder schon in der Schule zum Hass gegen Juden erzogen werden und führt anti-israelische Schulbücher an – die er natürlich nie gesehen hat.

“Ääääääh, ich will dir ja nicht auf die Füße treten”, versuche ich möglichst diplomatisch zu formulieren, “aber woher beziehst du deine Information? Sprichst du mit Leuten, auch mit Palästinensern oder sind das Infos aus den Medien?” Da gibt er zu, dass er alles nur den Medien entnimmt – den israelischen natürlich, noch nicht einmal internationalen. “Hast du dich denn schon mal mit einem Palästinenser unterhalten?” – “Nein, noch nie”. Nach ein paar Ausflüchten (ich würde ja, aber ich hab keine Zeit) gibt er dann zu, dass er daran auch überhaupt kein Interesse hat. Gar keins. Null.

Er führt auch das typisch rechte Argument der Sicherheit an: wir müssen uns und unser Land gegen die Aggressionen der Araber schützen. Dass es vielleicht nicht immer die Palästinenser sind, die aggressiv sind und dass es sich womöglich um eine Reaktion auf die israelische Politik handelt, sieht er natürlich nicht.

Für mich persönlich war es verwirrend festzustellen, dass er trotz dieser seltsamen Auffassung ganz nett war. Ich kann ja politische Einstellung immer so schlecht von Persönlichkeit trennen, weil sie eben doch so viel darüber aussagt… Naja, wieder ein bisschen verwirrter – das war ja mein Ziel hier Zwinkerndes Smiley

Krass finde ich, dass er noch nie mit einem Palästinenser gesprochen hat. Sie leben zusammen in einer Stadt!!!! Aber das ist nicht untypisch und mittlerweile bin ich auch sicher, dass das von der israelischen Regierung so gewollt wird. Dafür spricht zum Beispiel, dass die israelischen Behörden (nicht die palästinensischen) Israelis große Probleme machen, wenn sie in die Westbank reisen. “Warum warst du da, was hast du da gemacht, wen hast du getroffen, wen kennst du,…?”). Deshalb war Tali auch nervös, als wir ins Flüchtlingslager gefahren sind, weil nämlich ein israelischer Freund von Talis Freund bei seiner Rückreise nach Jerusalem 1000 Fragen beantworten musste.

Sowohl Tali als auch unser Tour-Guide gehen davon aus, dass die wenigsten Israelis wissen, was in Jerusalem und in der Westbank wirklich passiert. In den israelischen Medien findet man natürlich nicht viel dazu und die alternativen Medien bemühen wenige. Talis Cousin zum Beispiel würde nichts glauben, was dort steht.

Voller neuer Infos, Eindrücke, Meinungen und Bildern in unseren Köpfen, aufgebracht durch das, was wir gesehen und gehört haben, kamen Tali und ich nach Hause, wo wir noch eeewig redeten und versuchten, den Tag zu verarbeiten. Danach hatte ich echt das Gefühl, ich brauche eine Auszeit, um meine Gedanken zu ordnen, woraufhin ich mich für ein paar Tage aus dem Staub machte und mich in einem Hotelzimmer verbarrikadierte. Und dann fiel mir unser palästinensischer Tour-Guide ein:

“You have the choice. If you want, you can leave. We have to stay here”.



Jerusalem (Teil 3) – Siedler und wie ich protestierte

12 01 2012

“Es ist nicht Palästina, das die Zwei-Staaten-Lösung nicht will, sondern Israel”. Nachdem ich den anfänglichen Schock über diese Aussage unserer Guides überwunden hatte, wurde sie zu einem Aha-Erlebnis. Irgendwie passt jetzt alles viel besser zusammen! In unseren Medien wird uns immer suggeriert, dass es die Palästinenser sind, die die Zwei-Staaten-Lösung verhindern, vor allem weil sie Israel partout nicht anerkennen wollen (was nicht stimmt, die PLO – unter Jassir Arafat – hat Israel schon 1993 anerkannt), aber Israel ist das Land, das sich ständig über Vereinbarungen (z.B. den Siedlungsbau betreffend) hinwegsetzt.

Wie schon im letzten Artikel geschrieben, ist die Westbank in drei Zonen unterteilt, von denen die größte die unter israelischer Kontrolle stehende Zone C ist. In diese Zone haben die Palästinenser keinen oder nur eingeschränkt Zugang.

Die folgenden Karten zeigen, wie sich das Land der Palästinenser im Laufe der Zeit verkleinert hat und dass es heute nur noch aus einem relativ unzusammenhängenden Gebiet besteht.

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Nochmal kurz zur Erinnerung: Israel wurde 1948 gegründet, die erste Karte zeigt das Gebiet also vor der Gründung. Die zweite zeigt den UN-Teilungsplan (steht ja auch da Zwinkerndes Smiley). Was übrig blieb, nachdem mehrere arabische Staaten Israel direkt nach seiner Gründung angriffen, sieht man auf der dritten Karte. Dann kam der Krieg von 1967, bei dem Israel die gesamte Westbank besetzte. Erst 1993 begann der Aufteilungsprozess (Oslo-Abkommen), dessen heutigen Stand man auf der vierten Karte sieht (da die Palästinenser keinen oder nur eingeschränkten Zugang zur Zone C haben, wird sie auf dieser Karte als zu Israel gehörig eingezeichnet, deshalb ist die Westbank hier so zerstückelt).

Das Land der Palästinenser schrumpft und schrumpft also und so ist es kein Wunder, dass sie fürchten, es komplett zu verlieren. Im Übrigen fordern die Palästinenser bei den Verhandlungen immer nur ihr Land in den Grenzen von vor ‘67 zurück (dritte Karte).

Wie auch schon im letzten Bericht erwähnt, sind die Siedler ein großes Thema (als Mittel zum Landgewinn), so dass ich jetzt ein bisschen über sie schreiben will. Zunächst: Als Siedler werden diejenigen Israelis bezeichnet, die in der Westbank (den Gaza-Streifen lasse ich weiterhin außen vor) in Gruppen, also in Siedlungen wohnen. Es lassen sich zwei Gruppen von Siedlern unterscheiden: die Religiösen und die, die aus finanziellen Gründen siedeln.

Die religiösen Siedler sind der Ansicht, dass auch die Westbank den Juden gehört, denn Gott hat ihnen dieses Land versprochen. Er hat Abraham und seinen Nachfolgern dieses Land gegeben und nirgendwo war die Rede davon, dass man es mit Palästinensern teilen müsse, also ist es jüdisches Land und man muss es besiedeln. Viele dieser Siedler kommen aus USA, speziell aus Brooklyn und haben vorher nicht in Israel gewohnt. Sie ziehen sofort in die Siedlungen.

Was ich übrigens sehr lustig fand, apropos Land besiedeln: Gott hat Abraham das Land gegeben und gesagt, er soll es mit Menschen füllen – deshalb bekommen orthodoxe Juden so viele Kinder!! Sie bemühen sich immer noch, das Land zu füllen! Ich muss gestehen, ich habe mich kaputt gelacht als ich das gehört hab.

Die zweite Siedler-Gruppe besteht aus Israelis, die aus finanziellen Gründen siedeln. Der israelische Staat unterstützt sie finanziell (ich weiß nicht genau wie, ich glaube unter anderem durch Steuererleichterungen) und zudem kostet eine Wohnung in einer Siedlung viel weniger als sie in Israel kosten würde. In Jerusalem zahlt man für eine Wohnung in einer Siedlung etwa ein Viertel dessen, was sie in anderen Teilen der Stadt kosten würde.

Ob der Anteil der religiösen oder der “Wirtschaftssiedler” größer ist, hängt von der jeweiligen Siedlung ab.

Es gibt auch zwei Arten von Siedlungen: Auf der einen Seite die, die speziell für die Siedler errichtet werden (sah man ja auf dem einen Foto, das ich vom Flüchtlingslager aus gemacht habe, wo man rechts die fein säuberlich angeordneten Häuser der Siedlung sah). Dann gibt es aber auch Siedler, die in palästinensische Häuser reingesetzt werden. Soweit ich verstanden habe, gibt es auch hier wieder zwei Fälle:

Nach der Aufteilung des Gebiets gemäß dem UN-Teilungsplan mussten einige Juden Palästina verlassen und ihre Häuser dort zurücklassen. In diese sind Palästinenser gezogen, die dort seit mittlerweile über 60 Jahren wohnen. Da die Häuser aber ursprünglich mal Juden gehört haben, werden sie jetzt zurück gefordert – in den aller seltensten Fällen von den Besitzern selbst. Die Palästinenser werden rausgeworfen und es ziehen jüdische Siedler ein. (Es ist natürlich klar, dass Palästinenser im Gegenzug nicht ihre Häuser zurück fordern können, die auf israelischem Terrain liegen.) Wie das im einzelnen funktioniert, in wie weit der israelische Staat das fördert oder nur duldet, muss ich noch rausfinden.

Der andere Fall hängt mit dem illegalen Häuserbau zusammen: Die palästinensische Bevölkerung wächst und braucht demzufolge mehr Wohnfläche. Um bauen zu können, müssen sie aber die Genehmigung der israelischen Behörden haben. Die Bearbeitung einer solchen Genehmigung dauert mehrere Jahre und wird dann nur selten positiv beschieden. Tatsächlich gewährt werden Baugenehmigungen nur im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Da die Palästinenser aber Platz zum wohnen brauchen, bauen sie trotzdem, was von den Israelis dann als illegaler Häuserbau gesehen wird. Solche Häuser werden entweder abgerissen (die bekannten “house demolitions”) oder es werden Siedler hineingesetzt.

Kleiner Einschub: Im Fall des Abrisses werden rund 12.000€ fällig, die der palästinensische Hausbesitzer zu tragen hat. Das heißt: eine palästinensische Familie wächst und braucht mehr Wohnfläche. Da die Wahrscheinlichkeit, eine Baugenehmigung zu bekommen, sehr gering und mit viel Warterei verbunden ist, bemühen sie sich wahrscheinlich gar nicht erst, sondern bauen einfach, denn irgendwo müssen sie ja wohnen, das heißt sie investieren Geld. Dann kommt mit ein wenig Pech der israelische Staat, reißt das Haus ab und die dort lebenden Leute stehen nicht nur ohne Zuhause da, sondern haben darüber hinaus noch um die 12.000€ Schulden, weil sie den Abriss selbst bezahlen müssen.

Zurück zu den Siedlern: Ein in Jerusalem bekannter Fall ist der von Sheikh Jarrah, nur etwa zehn Autominuten von der Altstadt entfernt (natürlich in Ost-Jerusalem). Es gibt Pläne einer Siedlungsorganisation, dieses palästinensische Viertel komplett zu zerstören und eine Siedlung mit 200 Häusern dort entstehen zu lassen. Im Moment konzentriert sich die Aufmerksamkeit vor allem auf einen Fall: Eine Familie, die wir im Rahmen der politischen Tour durch Jerusalem besucht haben, lebte dort in einem kleinen Häuschen und als es zu eng wurde, haben sie nach vorne angebaut. Ohne Genehmigung, also illegal. Seit einiger Zeit leben im vorderen Teil nun vier jugendliche Siedler, alle um die 20, die sich nicht gerade gut in die Gemeinschaft integrieren, um es mal so zu sagen. Sie bespucken die Kinder der Nachbarschaft oder verkloppen sie, wie mir unter anderem unser Guide erzählte, der es selbst gesehen (und sich eingemischt) hat.

Aber nicht genug damit, sondern jetzt soll diese Familie, die nur noch im hinteren Teil ihres Hauses wohnen dürfen, entweder Miete an die Siedler zahlen oder sie werden zwangsgeräumt. Diese Räumung steht in den nächsten Tagen an.

Hier ein Foto des vorderen Hausteils, in dem jetzt die Siedler wohnen – wie mein Bruder schon feststellte ist das ja auch nicht gerade ein Ort, an dem man uuuunbedingt leben will…

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Dem gegenüber liegt ein Haus, das bereits zwangsgeräumt wurde. Dort lebt nun eine jüdische Familie aus Brooklyn. Die palästinensische Familie lebte fünf Monate in Zelten auf der Straße vor ihrem eigenen Haus. Aus Angst, ihre Ansprüche auf das Haus vollends zu verlieren, haben sie sich nicht bei den Strom- und Wassergesellschaften abgemeldet, um mit den Rechnungen vielleicht irgendwann einmal nachweisen zu können, dass es sich um ihr Eigentum handelt. Das heißt die aus ihrem Haus geworfenen Palästinenser zahlen jetzt Strom und Wasser für die jüdischen Siedler. Verrückt.

Was, wie ich finde, auch viel aussagt über die Siedler und ihre Einstellung, ist dass sie ihre Häuser mit israelischen Flaggen schmücken, so dass auch jeder sehen kann, dass hier Juden wohnen – provokativer geht’s wohl kaum.

Die meisten Siedler bleiben übrigens nur etwa für sechs Monate in solchen Häusern, dann werden sie von der Siedlerorganisation ausgetauscht, weil es ja nicht gerade ein Honigschlecken ist, da so im Feindesland zu wohnen. Warum sie es trotzdem tun? Selbstloser Dienst am eigenen Land.

Wie gesagt hat uns unsere politische Tour nach Sheikh Jarrah geführt. Unser Guide hat uns eine alte Frau der Familie vorgestellt, die, wie ich annehme, das weibliche Familienoberhaupt war. Wir hätten sie auch etwas fragen können, aber wir waren alle so sprachlos… Was soll man da noch fragen? Und so haben wir die arme Frau nur betroffen angeschwiegen bis zum Glück eine aus der Gruppe auf die Idee kam, wenigstens unsere Anteilnahme auszudrücken.

Ein paar Tage später habe ich Tali zum ersten Mal getroffen, bei der ich gecouchsurft hab. Es stellte sich heraus, dass sie am nächsten Tag zu einer Demo gegen die Siedlungen in Sheikh Jarrah, speziell gegen die Zwangsräumung dieses einen Hauses gehen wollte, die vor allem von israelischen Aktivisten organisiert wurde (es sind ja nicht alle Israelis rechte Extremisten…). Und ich durfte mit Smiley.

Natürlich bin ich nicht blauäugig zur ersten Demo gerannt, die mir begegnete, sondern hab mich vorher lange mit Tali darüber unterhalten, bis ich den Eindruck hatte, sie weiß, was sie tut und geht kein zu großes Risiko ein. So sagte sie mir zum Beispiel, dass sie immer darauf achtet, dass die Demos angemeldet sind, damit “Aufpasser” dabei sind, die die Demonstranten im Notfall schützen können. Wieso das nötig ist, wurde mir erst klar, als ich selber mitgegangen bin…

Wir sind in West-Jerusalem losgelaufen, über ein paar Einkaufsstraßen bis zum Beginn der Altstadt, dann (von außen) an einer großen Straße an der Altstadt-Mauer entlang bis nach Ost-Jerusalem und Sheikh Jarrah. Die Plakate forderten “Stop Occupation”, “Free Sheikh Jarrah” oder auch “Eree Palestine”. Mit lautem Getrommel, ein paar Trillerpfeifen und Slogans auf Hebräisch (und womöglich auch auf Arabisch) ging’s los:

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Schon auf den ersten hundert Metern wurde mir klar, dass das hier irgendwie was anderes ist als zum Beispiel in Aachen gegen Nazis zu protestieren. Da geht man ja null Risiko ein und trifft auf keinerlei Widerstand. Anders bei dieser Demo: ich war nicht gefasst auf soviel Aggression seitens der Israelis! Schon nach etwa 50 Metern lief ein vielleicht 60-jähriger Mann mitten durch die Demonstranten, rempelte sie an und schlug die Plakate runter (beeindruckt hat mich, dass keiner von den Teilnehmern in irgendeiner Weise aggressiv reagiert hat, die Betroffenen haben ihre Plakate aufgehoben und ihn keines Blickes gewürdigt – wow). Andere Passanten zeigten Mittelfinger oder brüllten uns irgendwas entgegen, meist auf hebräisch, so dass ich es nicht verstehen konnte. Viele waren wirklich außer sich vor Empörung und einer schrie “don’t fuck with the arabs!!” Wie Tali mir später sagte, war das auch einer der Sätze, der auf hebräisch sehr oft fiel.

Wieder einige Meter weiter griff ein Passant einen der Demonstranten an und wollte ihn schlagen, aber da griff dann zum Glück einer der Aufpasser ein (da wusste ich dann wofür sie gut waren, auch wenn ich fand, sie hätten etwas zahlreicher erscheinen können…).

Wieder ein Stück weiter kam ein Stein geflogen. Ich glaube, ich war die einzige, die etwas Angst hatte, alle anderen waren es ja schon gewohnt: die verbalen Aggressionen, aber auch mit Eiern oder Wasser beworfen zu werden. Aber vor den Steinen hatte ich echt Angst – zum Glück blieb es bei einem.

Es war wirklich etwas gruselig so durch West-Jerusalem zu laufen. Viele Autofahrer brüllten etwas aus dem Fenster (und zeigten Mittelfinger) und wenn wir eine Straße überquerten, rechnete ich immer halb damit, dass einer einfach Gas geben und uns platt fahren würde. Ich musste auch daran denken, wie viele Israelis Zugang zu einer Waffe haben und dass ein Bekloppter reichen würde, der sie einfach mal benutzen würde. Aber zum Glück ist nichts passiert.

Ich kann mich nur an eine positive Reaktion in West-Jerusalem erinnern und die stammte von einer Autofahrerin, die im Rhythmus unserer Trommeln ihre Hupe betätigte.

Während dieser Demo habe ich mich eher als Außenstehende gesehen, als Art Zuschauerin, denn ich war das erste Mal dabei, während alle anderen meist wöchentlich für Sheikh Jarrah protestieren. Was für ein Mut, echt!!!! Ich muss gestehen, ich weiß nicht, ob ich jede Woche mitgehen würde, denn schön war es wirklich nicht und der Gedanke, irgendwann doch einen Stein an den Kopf zu bekommen…… hmmm…. Ich habe einen riesigen Respekt vor diesen Jungs und Mädels, die sich wöchentlich dem Hass ihrer eigenen Bevölkerung aussetzen, um die Palästinenser zu unterstützen!

Als wir an der Altstadt-Mauer ankamen, entspannte sich die Situation etwas und es wurden sogar zwei Palästina-Flaggen ausgepackt. In West-Jerusalem wär das zu viel des Guten gewesen, wie mir Tali erklärte. Als ich sie fragte, was denn da handgeschrieben auf einer der Flaggen stünde, sagte sie mir, das heiße “Intifada” auf Arabisch und sie sagte mir, dass sie mit einem der Demonstranten darüber diskutiert habe, ob das denn wirklich sein muss, denn schließlich war die Intifada gewaltsam, worauf er sagte, es sei eben die einzige Möglichkeit der Palästinenser sich zu wehren. Und so ist auch diese Gruppierung nicht wirklich geeint: manche sind radikaler als andere, aber am Ende laufen sie eben doch zusammen, weil sie das gleiche Ziel haben.

Der Junge mit der Fahne ist sozusagen das Symbol der Proteste. Er ist zehn Jahre alt, wohnt in Sheikh Jarrah und übernimmt die Aufgabe, die sonst keiner wirklich gerne hat: Er ist der “Vorbrüller” der Slogans, die ihm dann alle nachbrüllen. Und er macht seine Sache richtig gut!

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Je weiter wir nach Ost-Jerusalem rein kamen, desto weniger Israelis gab es natürlich, die uns beschimpfen konnten. Statt dessen sah man öfter mal lächelnde palästinensische Gesichter oder erhobene Daumen. Aber ich muss sagen, ich war erstaunt, wie oft man auch in ausdruckslose Gesichter kuckte. Ob sie resigniert haben und finden, dass es nichts bringt? Oder ob sie es Israelis nicht abnehmen, wenn sie für Palästina protestieren? Dass nämlich nicht alle Palästinenser von Israelis begeistert sind, die ihre Partei ergreifen, habe ich auch noch später im Flüchtlingslager festgestellt, aber dazu später.

In Sheikh Jarrah angekommen, blieben Tali und ich zurück, um uns mit jemandem zu unterhalten, während die Gruppe schon die Straße zum besetzten Haus runterlief. Als wir endlich unten ankamen, sahen wir einen fetten Siedler (er war wirklich richtig fett) mit einer Wunde unter dem rechten Auge, aus der ziemlich viel Blut auf sein Hemd tropfte. Er war mit seinem Hund aus dem Haus gekommen. Manche der Demonstranten sagten, er habe den Hund auf eins der Kinder hetzen wollen (die, die auch bespuckt werden), andere sagen, er wollte sie mit dem Hund nur erschrecken. Jedenfalls hat ein Kind einen Stein genommen und ihn dem Siedler ins Gesicht geworfen. Ich muss ja wohl nicht dazu sagen, dass ich Steine werfen nicht als die richtige Art des Protests sehe, aber beim Anblick des Typen, der keinerlei Anstalten machte, sich das Blut abzuwischen, sondern damit munter in alle Kameras poste (ich bin mir nicht sicher, ob auch Presse da war, aber ganz vorne war einer mit einer grooooßen Kamera), hätte ich fast gekotzt. Dann kam die Polizei – lange vor dem Krankenwagen, denn man muss ja Prioritäten setzen. Bis dahin waren die Kinder verschwunden. Ihr Glück, denn die israelische Polizei hat kein Problem damit, Zehnjährige festzunehmen – solange sie Palästinenser sind.

 

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Hier noch ein Link zu einem sehr guten und dabei relativ kurzer Artikel zum Thema Palästina: Selbst die EU merkt jetzt, dass die Chancen für einen palästinensischen Staat schwinden.

http://www.independent.co.uk/news/world/middle-east/eu-on-verge-of-abandoning-hope-for-a-viable-palestinian-state-6288336.html