Weg mit den Vorurteilen–Teil 1

5 10 2011

Jaaa jaaa, ich dachte mir ja schon, dass das Bild, das viele von uns in ihren Köpfen haben, nicht der Wahrheit entspricht… Aber jetzt habe ich es mit eigenen Augen gesehen und will es euch nicht vorenthalten:

Vorurteil 1: Die Kleidung: “Wenn du in den Iran fährst, musst du dich verschleiern! Dann sieht man nur noch die Augen von dir!!” Äääh, nein. Was stimmt ist, dass wir Mädels ein Kopftuch tragen müssen, das aber, wie schon im letzten Post geschrieben, meist seeehr weit hinten ist:

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Witzig finde ich auch folgende Variante:

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Außerdem muss das Oberteil den Allerwertesten und einen Teil der Oberschenkel bedecken. Wie die Regel genau ist, weiß ich nicht, aber die Länge der Kleidung ist zum Teil so, wie es in Deutschland gerade Mode ist, also nicht unbedingt bis zu den Knien, sondern nur bis unter die Problemzonen Zwinkerndes Smiley. Es wird zwar immer gesagt, dass diese Oberteil auch weit sein muss, aber das stimmt nicht. Die Mädels tragen meist sehr taillierte Mäntel, Manto genannt, die irgendwie gar nicht mehr an Verschleierung erinnern. Viele Mantos sind auch so geschnitten, dass die Ärmel nur bis zu den Ellbogen reichen. Je nachdem, wo man hingeht (Moschee, offizielles Gebäude) muss man sie dann aber runterkrempeln bzw. etwas drunter tragen.

Jedenfalls bleibt festzuhalten, dass die Mädels hier es schaffen mit Kopftuch und unter mehr oder weniger Einhaltung der Kleidungsvorschriften sexier auszusehen als die meisten Frauen in Deutschland. Echt ein Phänomen!

Den berühmten Tschador tragen allerdings auch viele. Wie viele, hängt von der Gegend ab, in der man ist und sicherlich auch von der Stadt. Oft sieht man auch zwei Frauen, die wahrscheinlich Mutter und Tochter sind, die Mutter mit Tschador und das Mädel mit legerem Kopftuch.

Vorurteil 2: Iran ist bestimmt megabillig. Stimmt nur bedingt.. Den ersten Preisschock habe ich bekommen, als ich mich mit dem Kauf eines Mantos der iranischen Mode anpassen wollte, weil ich mir völlig underdressed vorkam: 30-40€ für ein so ein Ding! Ich dachte es wär billig hier oder zumindest billiger als in Deutschland, aber nein. Bei H&M krieg ich doch sowas schon für 10, höchstens 20€…  Am Ende hab ich aber doch ein Manto für 12€ ergattert und war wieder beruhigt Zwinkerndes Smiley Insgesamt kann man wahrscheinlich sagen, dass Importprodukte wie meine Frühstücks-Erdnussbutter etwa gleich viel kosten wie in Deutschland, aber dass der Rest doch sehr preiswert ist, wenn auch nicht spottbillig. Eine Metrofahrt kostet ca. 1€ und auch Taxi fahren ist billig. Was zu meiner großen Freude so gut wie geschenkt ist, ist das Wasser: ein halber Liter kostet vielleicht 20cent und zwar überall, also auch in Läden, in denen man in Deutschland 2€ oder mehr dafür zahlen würde. Essen gehen ist auch nicht wirklich teuer: Wenn man in ein ganz gutes Restaurant geht und lecker und reichlich isst, kommt man eigentlich immer unter 10€ pro Person weg.

Bevor ich herkam, habe ich gelesen, dass die Inflation hier so hoch ist. Dazu kann ich nichts sagen, aber anscheinend sind die Preise vor allem im letzten Jahr extrem angestiegen, da die Regierung im vergangenen Jahr die Subventionen für Benzin und Gas gestrichen hat, was sich natürlich wegen der gestiegenen Transportkosten auf alle Güter auswirkt. Aber wie gesagt, es ist immer noch alles bezahlbar, auch wenn man gerade bei Kleidung leicht Geschäfte findet, in denen die Preise wie in Deutschland (und ich meine nicht H&M) sind.

Vorurteil 3: Der angebliche Amerika-Hass der Iraner. Tatsächlich haben wir gestern Erdnussbutter der Marke “American Garden” gekauft und Coca Cola getrunken, so groß kann der Hass also nicht sein. Die Krönung sind aber die Schuhe der Tochter meiner Gastgeberin! Sie trägt die coolsten Schuhe überhaupt und die, die ich hier am wenigsten erwartet hätte, haha:

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Noch Fragen? Zwinkerndes Smiley

Vorurteil 4: Im Iran singt andauernd der Muezzin. Leider nein! Dabei hör ich das doch so gerne… Sehr schade also, wie ich finde, aber vielleicht ist es ja in Qom anders Zwinkerndes Smiley Meine Theorie zur Begründung ist übrigens unter anderem der Lärm, der überall herrscht. Die Automotoren, Hupen und Motorräder übertönen einfach alles, da geht dann halt auch schon mal der Gebetsruf unter.

Im Übrigen ruft der Muezzin hier nur drei Mal, nämlich bei Sonnenaufgang, Mittags und bei Sonnenuntergang. Eigentlich sollten Muslime ja fünf Mal täglich beten, aber so religiös ist der Iran dann scheinbar doch nicht, denn man hat die Gebete auf drei zusammen geschmolzen – ist ja irgendwie auch praktischer Zwinkerndes Smiley 

Vorurteil 5: Männlein und Weiblein dürfen nicht miteinander in Kontakt treten, es sei denn sie sind miteinander verheiratet oder verwandt. Tatsächlich sieht man relativ viele Händchen haltende Pärchen (die offensichtlich nicht verheiratet sind)! Ich war echt von den Socken, denn das hatte ich nicht erwartet. Es gibt auch viele Orte, zu denen die Mädels und Jungs kommen, um Bekanntschaften zu machen, also Telefonnummern auszutauschen, zu quatschen oder was auch immer. Das sind z.B. irgendwelche Straßen oder Kreisverkehre und scheinbar wissen alle, dass die Jugend dahin kommt, um Angehörige des anderen Geschlechts kennenzulernen. Allerdings wird das nicht von allen sehr gut angesehen – ist aber ja auch wirklich ein bisschen komisch. Auf der anderen Seite ist es halt einfach eine Kontaktmöglichkeit, die sich die Jugendlichen schaffen in einem Land, in dem Mädchen und Jungen in den Schulen strikt getrennt sind (entweder Mädchen- oder Jungenschule). In die Uni gehen sie dann übrigens gemeinsam. Ob sich da überhaupt jemand auf die Vorlesung konzentrieren kann, wenn man das erste mal so hautnah vom anderen Geschlecht umgeben ist? Zwinkerndes Smiley



Endlich im Iran!!!!

4 10 2011

Ich bin hier! Ich kann es kaum fassen! Das Treffen mit Parvaneh am Flughafen in Dubai hat super geklappt und mit ihr an meiner Seite war ich dann auch relativ entspannt, als ich für die Einreise Schlange stand und meine Sachen nochmal vom Zoll durchleuchtet wurden (Chile ist doch nicht das einzige Land, das dieses Geeier veranstaltet!). Nachdem ich die Einreise-Hürde genommen hatte, sind wir zu Parvaneh nach Hause gefahren. Sie wohnt in Karaj, ohne Stau wohl eine halbe Stunde von Tehran entfernt, mit Stau 1,5 bis 2 Stunden!

Parvaneh ist soooo nett, total lieb und einfach toll und an meinem ersten Tag habe ich neben ihrer Tochter auch schon ihre drei Schwestern, ihre Nichte, ihre Mutter und ihren Bruder kennengelernt. Alle sind supernett und ich habe mich sehr wohl mit ihnen gefühlt. Die Kommunikation ist nicht reibungslos, da nicht alle Englisch sprechen, dafür aber lustig – mit Zeichensprache kommt man ja doch recht weit. Und ich konnte mit meinen tollen Persisch-“Kenntnissen” glänzen, haha! “Ich kann kein Persisch”, “wo ist die Toilette?” und alle waren tief beeindruckt Zwinkerndes Smiley

Die Wohnung von Parvaneh ist sehr schön und hell, also noch ein Wohlfühlfaktor. Interessant sind natürlich die Toiletten… Es gibt ein Badezimmer mit westlicher Toilette (die aber außer mir keiner benutzt), neben der der obligatorische Wasserschlauch, aber auch Klopapier hängt, und mit einer Dusche, wobei die Dusche nicht abgetrennt ist, sondern man quasi das ganze Bad mitduscht. Das andere Bad hat eine iranische Toilette nebst Wasserschlauch (mit warmem und kaltem Wasser übrigens) und Klopapier und verfügt auch noch über ein Waschbecken (fehlt im anderen Bad). In beiden Bädern stehen Schlappen, denn wie mir erklärt wurde wird das Bad im Iran als etwas Schmutziges angesehen, obwohl man es mit Chlor schrubbt usw. und so zieht man sich halt die Schlappen an solange man im Bad ist. Ganz schön hygienisch!

Die andere bahnbrechende Erkenntnis des Tages lautet: Hier isst man Pizza mit Ketchup und Mayo!!! Pizza war nämlich mein erstes Essen im Iran, ich habe also direkt einen Einblick in die landesübliche Küche bekommen, haha! Der Teig schmeckte anders als bei uns, außerdem fehlte irgendwie die Tomatensauce, daher wohl auch der Ketchup, aber es war lecker!

Abends haben wir draußen eine Runde gedreht und ich konnte mich davon überzeugen, dass die allermeisten Mädels wirklich ihr Kopftuch am Hinterkopf tragen. Frauen mit Tschador gibt es natürlich auch, aber so richtig, richtig viele waren es nicht. Als wir uns fertig gemacht haben, um rauszugehen, sagte Parvanehs Mutter zu mir, ich würde mich ja mehr bedecken als sie und nach einem “Nadiiiiine, take it easy!” von Parvanehs Schwester habe ich mich dann der Mode angepasst, das Kopftuch nach hinten versetzt und sogar die Ärmel hochgekrempelt. Geht also alles!

Tatsächlich ist mein erster Eindruck, dass es hier gar nicht sooo anders ist als bei uns: Auf der Straße lief ein Pärchen untergehakt und im Schuhgeschäft (wo wir sechs Frauen überraschenderweise gelandet sind Zwinkerndes Smiley) haben “wir” (ich nur eingeschränkt) uns munter mit den zwei Verkäufern unterhalten. Hab sogar ein beautiful-Kompliment bekommen!! Wer hätte das erwartet im Iran?? Ich jedenfalls nicht.

Jetzt bin ich gespannt auf morgen. Nach vier Nächten, in denen ich kaum geschlafen habe, schlafe ich aber erst mal aus und dann sehen wir weiter. Jippieh! Smiley