Ich habe die Wahl

21 05 2012

“You have the choice. If you want, you can leave. We have to stay here”. An diesen Satz unseres Tour-Guides in Palästina habe ich nach den letzten zwei Tagen wieder gedacht. Heute bin ich in Vieng Xai, einer kleinen Stadt nahe der vietnamesischen Grenze, angekommen. Herzukommen war nicht so einfach wie man vermuten könnte. Die Kurzfassung:

Donnerstag: Ich erkundige mich nach dem Nachtbus von Nong Kiao nach Xam Neua. Von dort aus kann ich nach Vieng Xai weiterreisen. Die Antwort lautet: “Warte einfach hier im Restaurant. Der Bus kommt irgendwann zwischen 20 und 24h vorbei. Manchmal kommt er allerdings gar nicht.” Haha! Leider war jedoch letzteres der Fall und nach fünf stündiger Warterei (zum Glück mit netter Gesellschaft) quartierte ich mich nochmal im Hostel ein.

Freitag: um 11.15h bin ich an der Busstation, um den Minibus um 12h zu nehmen. Aber der fährt heute nicht, weil es nicht genug Nachfrage gibt. Stattdessen wird wieder auf den Nachtbus verwiesen, der zwischen 20 und 21h kommen soll. Alternativ könnte ich mir für 85€ auch einen eigenen Bus und Fahrer mieten, aber das ist mir natürlich zu teuer. Immerhin, die theoretische Möglichkeit besteht. Aber ich gebe lieber dem Nachtbus und mir nochmal eine Chance und zockle ins Hostel zurück. Um 22h ist der Bus da und rappelvoll. Mit Klebeband hat jemand “VIP” auf den Bus geschrieben. Drinnen ist es eng, der Boden liegt voller Gepäck und ich hangle mich an der Stange über meinem Kopf entlang, bis ich einen freien Sitz finde. Glück für mich, denn die nächsten, die einsteigen, sitzen auf Plastikhockern im Gang (da, wo kein Gepäck liegt).

Nach 11 Stunden haben wir die 250Km hinter uns gebracht, die uns von Xam Neua trennten. Ich habe (wie immer) relativ gut geschlafen und musste während der Busfahrt immer mal wieder lachen über diese Situation im Bus. Es ist eben Teil des Reiseabenteuers und einfach eine Erfahrung. Das ist allerdings nur die eine Sicht der Dinge. Was ist, wenn man in diesem Land lebt und das Alltag ist? Alltag, dass der Bus unter Umständen einen Tag später kommt, als man ihn eigentlich braucht, Alltag, dass er für 250Km 11 Stunden braucht und Alltag, dass man wie die Ölsardinen da drin sitzt. Alltag, dass man in 11 Stunden keine Möglichkeit hat, eine echt Toilette aufzusuchen, sondern nur die Büsche und Alltag, dass man 11 Stunden lang mit Musik zugedröhnt wird. Das ist einfach Mist. Anders als ich haben die Leute nämlich nicht die Wahl. Sie können nicht denken “was für ein lustiges, zeitlich begrenztes Abenteuer”, weil es für sie immer so sein wird und sie haben auch nicht die Möglichkeit, im Notfall auf den 85€-Privatbus umzusteigen, weil das hier bestimmt keiner bezahlen kann.

Seit mehreren Wochen tingele ich schon durch Kambodscha und Laos und die einfachen Holz- und Bambushütten am Straßenrand sind ein gewohnter Anblick. Oft bin ich erstaunt wie schnell ich mich an Dinge gewöhne. Nur hin und wieder assoziiere ich die Hütten mit Armut, obwohl sie eigentlich geradezu danach schreien. Viele der Bungalows, in denen Backpacker übernachten, sehen sehr ähnlich aus wie diese Häuschen am Straßenrand und oft genug habe ich in ihnen übernachtet. Aber manchmal, wie in Nong Kiao, habe ich die Schnauze voll und miete mich zum doppelten Preis (8 statt 4€) in einem schönen Zimmer mit Betonwänden und Bad ein. Aber was ist mit der Bevölkerung hier? Sie haben wieder nicht die Wahl. Sie teilen ihre kleine Hütte mit der gesamten Familie und wenn sie die Schnauze voll haben, müssen sie halt trotzdem da bleiben.

Gerade waren wir (ich und mein momentaner Reisegefährte) essen. Wir saßen auf Plastikstühlen in einem mittelgroßen Raum, rechts von uns die offene Küche. An der hinteren Wand waren hinter ein paar Vorhängen Betten zu erkennen und als ich auf Toilette ging, stelle ich fest, dass es sich um das Bad der Familie handelte. Kein Dusche, sondern nur “bucket shower”, heißt: ein Bottich, in dem eine Schüssel schwimmt, mit der man sich das Wasser über den Kopf schüttet. Die Betten hinter dem Vorhang, das Bad… das heißt sie wohnen hier. Im Restaurant.

Ich bin in ein Land und in eine Lebenssituation hinein geboren, die mir nicht alles, aber vieles ermöglicht. So kann ich wählen, in ein armes Land zu reisen, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln reisen und mich in ähnliche Hütten einquartieren wie die, in denen die Einheimischen leben. Aber ich kann mich auch dafür entscheiden, hin und wieder in teureren Unterkünften zu übernachten oder erst gar nicht zu reisen, sondern in meinem schönen, bequemen Zuhause zu bleiben. Oder in ein reiches Land reisen, auch wenn mein Geld dort nicht so lange hält. Oder, oder, oder.

Heute ist mir klar geworden, was der eigentliche Luxus in meinem Leben ist: nämlich die Wahl zu haben.



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