Jerusalem (Teil 2) – bedrückender Blick hinter die Fassade

9 01 2012

“Die Mauer ist weg!” – Ja, in Deutschland. Hier nicht. Hier steht sie kalt und grau und wächst und wächst.

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Dieser und die folgenden Berichte sind der Versuch, das wichtigste, was ich hier über die politische Situation in Jerusalem gelernt habe, zusammenzufassen (ich weiß jetzt schon, dass ich die Hälfte vergessen werde oder einfach nicht unterbringen kann!). Viele Informationen stammen aus einer der politischen Touren, die mein Bruder und ich gemacht haben (www.alternativetours.ps – sehr empfehlenswert!!). Sehr viel habe ich aber auch durch Tali erfahren, ein tolles Mädel, bei der ich gecouchsurft habe. Sie ist in Jerusalem geboren und aufgewachsen, ihr Großvater hat den Holocaust überlebt und sie hat ihren Militärdienst abgeleistet – ein hier wahrscheinlich recht normales Leben also. Aber sie steht politisch links, engagiert sich und hat palästinensische Freunde, womit sie zu einer Minderheit in ihrem Land wird. Ebenso wie ich versucht sie unemotional an das Thema heranzugehen, beide Seiten zu verstehen und sieht die Kommunikation zwischen beiden Völkern als einen wichtigen Weg zum Frieden.

Die Tage mit ihr haben mich sehr, sehr bereichert, nicht nur wegen unserer stundenlangen und extrem lehrreichen Gespräche über die hiesige Politik und Geschichte, sondern auch weil ich sie auf eine Demo gegen Siedlungsbau begleiten konnte, weil ich ihren politisch rechts stehenden Cousin kennengelernt und mich mit ihm unterhalten habe und weil sie mir zu einem Besuch in einem Flüchtlingslager verholfen hat. Einer von Talis Freunden, mit dem wir auch Silvester unterwegs waren, wohnt in Shuafat, einem großen Flüchtlingslager nur 15 Minuten von Jerusalem entfernt und hat uns dorthin eingeladen. Aus all diesen Infos und Eindrücken versuche ich also jetzt, einen oder mehrere Artikel für euch zu basteln… Ich wünsche mir viel Erfolg und Geduld dabei Zwinkerndes Smiley

Beginnen wir mit Grundlegendem (wer im vorigen Artikel aufgepasst hat, weiß das schon): Bis 1967 war Jerusalem eine geteilte Stadt. West-Jerusalem gehörte zu Israel, Ost-Jerusalem war Teil des palästinensischen Gebiets. Wie ihr gelernt habt, wenn ihr aufmerksam mitgelesen habt, ist der Tempelberg sowohl für den jüdischen als auch für den muslimischen Glauben zentral. Vor 1967 durften die Juden aber nicht an ihre Klagemauer ran, da sie zum Ostteil der Stadt gehörte, was sie – platt gesprochen und verständlicherweise – doof fanden. Die Freude war also groß, als sie 1967 die Westbank besetzten und Ost-Jerusalem eroberten, denn so hatten sie endlich wieder Zugang zu ihrer heiligen Stätte. Und damit ihnen die Moslems so schnell nicht mehr in die Quere kommen konnten, fegten sie einfach alle vom Platz, indem sie ihre Häuser in den Boden stampften und ihre Bewohner unter anderem in Flüchtlingslager außerhalb der Altstadt schickten. Den Israelis sei dank erfreuen die Touris (und die Israelis selbst) sich jetzt an diesem tollen leeren Platz vor der Klagemauer. Ist das nicht schön?

Aus israelischer Sicht ist Jerusalem also nun geeint und gehört, ebenso wie die gesamte Westbank, zu Israel. Logisch wäre es, wenn die dort lebenden Menschen nun die israelische Staatsangehörigkeit bekämen – ist aber nicht so. Das Aufenthaltsrecht oder gar die Staatsangehörigkeit der Palästinenser ist ein Riesen-Thema. So weit ich verstanden habe, wurde den in der Westbank lebenden Palästinensern nie die israelische Staatsangehörigkeit angeboten. Sie sind also Angehörige eines Landes, das aus israelischer Sicht nicht existiert. Großzügigerweise bekommen sie aber eine Aufenthaltserlaubnis und werden mit “travel documents” ausgestatten, die bei Reisen den Pass ersetzen und von den israelischen Behörden ausgestellt werden.

Den Palästinensern in Ostjerusalem hingegen wurde die Staatsangehörigkeit angeboten, allerdings haben nur sehr wenige dieses Angebot angenommen. Der Grund: Wenn sie Israelis werden, gibt es offiziell bald keine Palästinenser mehr in Ost-Jerusalem. Wenn die Palästinenser dann fordern, Ost-Jerusalem solle wieder an sie zurück gegeben werden, könnten die Israelis einfach sagen: Aber da leben doch nur Israelis, warum sollte Ost-Jerusalem palästinensisch werden? Und so leben die Palästinenser in Ost-Jerusalem größtenteils nur mit Aufenthaltsgenehmigung.

Offiziell sieht Israel Jerusalem als eine geeinte Stadt an. Faktisch wird jedoch stark getrennt: Obwohl die Ost-Jerusalemer Bevölkerung die gleichen Steuern zahlt wie die im Westen lebenden Israelis, erhalten sie nicht die gleichen Leistungen: so wird zum Beispiel der Müll weniger oder zum Teil gar nicht abgeholt (was Außenstehende schnell in ihrem Vorurteil bestärkt, dass Araber dreckig seien – klar, wenn ihr Müll nicht abgeholt wird und ihre Straßen nicht so gereinigt werden wie die der Israelis!). Außerdem gibt es viel zu wenig Schulen für die arabischen Kinder, was zu viel zu großen Klassen führt und dazu, dass Kinder erst gar nicht in die Schule gehen können.

Kurz: die Lebensbedingungen für die ost-jerusalemer Palästinenser sind denkbar schlecht. Fragt man die Palästinenser, ist das Teil des israelischen Plans, die Palästinenser aus Jerusalem zu verdrängen. Was sich zunächst anhört wie eine Verschwörungstheorie, wird plausibel, wenn man zum Beispiel folgendes erfährt:

Palästinenser aus der Westbank dürfen nicht nach Jerusalem ziehen. Sie dürfen Jerusalem (und somit ihre heiligen Stätten!) noch nicht mal besuchen. Wollen sie letzteres doch, müssen sie einen Antrag stellen. Zur Antragstellung (und nur dazu!) sind sie berechtigt, wenn sie älter als 45 Jahre alt sind, politisch nie aufgefallen sind und noch was, was ich vergessen habe. Bewilligt werden diese Anträge jedoch selten.

Möchte ein in Jerusalem lebender Palästinenser (oder eine Palästinenserin) jemanden aus der Westbank heiraten, darf der Partner aus der Westbank nicht nach Jerusalem ziehen. Das Paar muss also entweder eine Fernbeziehung in Kauf nehmen oder gemeinsam in der Westbank wohnen. Lebt die Person, die vorher in Jerusalem lebte, aber länger als sieben Jahre außerhalb der Stadt, wird ihr die Aufenthaltserlaubnis entzogen – sie kann also nicht wieder nach Jerusalem zurück.

Das bedeutet: Zieht eine Familie aufgrund der schlechten Lebensbedingungen aus Jerusalem weg, verliert sie nach sieben Jahren ihr Aufenthaltsrecht dort.

Das ist eine gute Überleitung zur Mauer, die offiziell “Sperranlage” genannt und durch die Notwendigkeit des Schutzes vor Selbstmordattentätern begründet wird. Wie schon erwähnt, verläuft die Mauer fast nirgendwo entlang der offiziellen Grenze von vor 1967, sondern frisst sich meist kilometertief in palästinensisches Gebiet. Das Flüchtlingslager Shuafat sowie zwei angrenzende Dörfer werden beispielsweise komplett von der Mauer umrundet. Eigentlich liegt das Gebiet in Ost-Jerusalem, doch da es jetzt so schön abgeteilt ist, versucht Israel, es aus der Stadt auszugliedern: “So, das ist hinter der Mauer, also gehört es nicht mehr zu Jerusalem. Das heißt ihr wohnt schon mehr als sieben Jahre außerhalb der Stadt – her mit der Aufenthaltserlaubnis, ihr seid jetzt Westbank”.

Praktisch ist so eine Mauer auch, wenn es um Landgewinn geht. Auch das ist in Shuafat gut sichtbar: Dem Flüchtlingslager direkt gegenüber liegt eine israelische Siedlung (auch die sind logischerweise Mittel zum Landgewinn). Das folgende Bild ist von Shuafat aus fotografiert:

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Die schönen ordentlichen Häuschen rechts bilden die israelische Siedlung, die chaotische Betonlawine links ist einer der beiden Orte, der an das Flüchtlingslager grenzt und ebenfalls von der Mauer eingekesselt wird. Zwischen diesem Ort und der jüdischen Siedlung verläuft die Mauer und zwar gaaaaaaanz eng an den palästinensischen Häusern entlang. So bleibt das Gebiet rechts von der Mauer für die Siedlung reserviert, falls sie mal wachsen möchte oder einfach, damit die Juden nicht so nah an den Palästinensern wohnen müssen – ist ja unzumutbar. Und schon wieder: Land gewonnen. So einfach ist das!

Seit die Mauer steht, dürfen die Palästinenser im Ort auch von ihrer Seite nicht mehr zu nah an die Mauer bauen. Tun sie es trotzdem, werden die Häuser abgerissen – auf Kosten der palästinensischen Hauseigentümer, ist klar.

Da die Israelis ja kreativ sind, kann man mit der Mauer aber auch noch anders Land gewinnen: Man baut sie einfach zwischen Palästinenser und ihr Land, auf dem sie beispielsweise Oliven oder Zitronen anpflanzen. Ein Checkpoint dazu – fertig. Jetzt dürfen sie ihr Land nicht mehr betreten und können demnach nicht mehr ernten, neue Bäume pflanzen oder was auch immer. Damit richten Israel nicht nur einen enormen wirtschaftlichen Schaden an, sondern sichert sich auch das Land, denn: vernachlässigt ein Palästinenser sein Land länger als drei Jahre (baut dort nichts mehr an etc.), wird es ihm aberkannt. Es gehört einfach nicht mehr ihm, sondern dem israelischen Staat.

So eine Mauer ist so praktisch, da hätte die DDR noch von den Israelis lernen können! Und so wird sie munter weitergebaut, während die Welt verhältnismäßig stumm zusieht (oder wegsieht).

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Nett finde ich, dass die Mauer so unterschiedlich gestaltet ist – dann wird sie einem nicht so schnell langweilig.

Ich muss sagen, wenn ich an dieser Mauer langfahre, dann kann ich fühlen, wie da etwas in mir aufkeimt und es ist nicht positiv. Konkret: allein der Anblick dieser Mauer schürt Hass, da bin ich mir sicher.

Wie ist das denn jetzt mit der Sicherheit? Haben die Israelis nicht irgendwie recht, wenn sie sagen, sie müssen sich gegen die Selbstmordattentäter schützen? Und immerhin sind die Bombenattentate seit dem Bau der Mauer fast auf Null zurück gegangen. Die Mauer – eine Erfolgsgeschichte? Die andere Sicht der Dinge ist: Ja, es gibt so gut wie keine Selbstmordanschläge mehr seit die Mauer gebaut wurde, was aber daran liegt, dass der Mauerbau mit dem Ende der zweiten Intifada zusammenfällt, in dem die palästinensischen Parteien sich zu einer Beendigung der Attentate verpflichtet haben.

Gestützt wird diese Meinung aus meiner Sicht durch die völlig willkürlichen und laschen Kontrollen an den Checkpoints. Checkpoints? Das hört sich nach millimetergenauen Durchsuchungen von Personen und Fahrzeugen an, nach Ausweiskontrollen und nach Sprengstoffspürhunden.

Die Realität sieht anders aus: Kommt man mit dem Auto aus der Westbank und will nach Jerusalem rein (natürlich nur mit israelischem Nummernschild, die mit palästinensischen müssen es gar nicht erst versuchen, die dürfen hier ja eh nicht hin), wirft der diensthabende, schwer bewaffnete Soldat einen Blick auf den Fahrer. Wie wir im Dritten Reich gelernt haben, kann man Juden und Araber auf 10Km Entfernung unterscheiden – der Soldat weiß also sofort, ob er einen harmlosen Juden oder einen bösartigen Araber vor sich hat. Im ersten Fall signalisiert er mit einem lässigen Kopfnicken, dass man passieren kann. Im zweiten lässt er sich die Papiere zeigen und durchwühlt den Kofferraum. Weiß ja jedes Kind, dass Bomben immer nur im Kofferraum versteckt werden und nirgendwo sonst.

Muss ich dazu sagen, dass ich zwei Mal mit palästinensischen Fahrern den Checkpoint passiert habe und wir kommentarlos durch gewunken wurden? Ganz so einfach ist die Shlomo-Ahmed-Unterscheidung nämlich doch nicht…

Kommt man mit dem Bus (natürlich mit einem palästinensischen, denn israelische Busse gibt es hier nicht), müssen alle Passagiere aussteigen. Das folgende Prozedere unterscheidet sich von Checkpoint zu Checkpoint.

Zwei Mal hatte ich die Ehre den Checkpoint aus Ramallah kommend zu Fuß zu überqueren – was vor allem mit viel Gepäck nicht lustig war. Sobald man aus dem Bus steigt, reiht man sich in die Schlange der Ungeduldigen ein, die vor so einem Drehgitter warten, wie man es zum Beispiel aus Park- oder Freibadausgängen kennt. Leuchtet das Lämpchen grün, darf man durch, aber man muss sich beeilen, den schwupps, erlischt es und das Drehgittert steht still – unter Umständen hat es jemanden gefangen genommen, der weder vor noch zurück kann.

Dann geht es weiter zu einem dieser Detektoren wie am Flughafen, durch die man durchlatschen muss. Piep. Ein Blick auf die genervten Soldaten hinter Panzerglas auf der rechten Seite verrät: ich muss nochmal durch. Piep. Nochmal. Kein Kommentar der (in diesem Fall) Soldatinnen. Nur ein lässiges Kopfrücken signalisiert: nochmal. Dann links das Gepäck in das Röntgending legen. Es klemmt? Dein Problem. Musste halt so lange kramen, bis das Zeug durchgeht. Hinter einem die Schlange der Ungeduldigen. Die Soldaten haben ein Mikro, durch das sie trotz Panzerglas mit einem sprechen können. KönnTTTen! Denn um es zu aktivieren, muss man einen Knopf drücken, will heißen: einen Finger bewegen – Gott, ist das anstrengend. Kommuniziert wird daher überwiegend per genervter Zeichensprache. Nicht schön.

Dann noch den Pass zeigen, inklusive Foto-Seite und Einreisestempel. Ein gelangweiltes Kopfnicken und man darf durch ein zweites Gitter wieder raus.

Als ich aber zum Beispiel aus Bethlehem kam, war es anders: Wieder mussten wir alle aussteigen, der Bus fuhr etwa 15 Meter weiter, während wir etwa 10 oder 15 Minuten in einer Schlange daneben standen. Ich nehme an, dass der Bus in der Zeit von Soldaten (ohne Hunde) untersucht wurde. Danach durften wir alle wieder einsteigen, nachdem wir den zwei Soldaten vor der Bustür unsere Pässe unter die Nase gehalten haben (nur den geschlossenen Pass, nicht etwa unser Foto oder so).

“Aaaaah! Chilena! Como estás?” fragt mich einer der Soldaten nach einem Blick auf meinen Pass, ein Peruaner, wie sich rausstellt, und ich bin etwas erstaunt. Wir smalltalken ein paar Sätze per Du, während die restlichen Busreisenden mehr oder wenig geduldig Schlange stehen.

Im Übrigen zahlt man den Bus nur bis zum Checkpoint und zahlt dann nochmal bis Jerusalem für den (nicht unwahrscheinlichen) Fall, dass man zu lange dort braucht und der Bus ohne einen weiterfährt. Ist mir beim zweiten Mal auch glatt passiert.

Und die Moral von der Geschicht’ (auch wenn es sich nicht reimt): Mit den Kontrollen machen sie vielleicht einen Glücksgriff, wenn sie einen Selbstmordattentäter aufhalten wollen. Von systematischer Kontrolle ist das aber meilenweit entfernt – das “Sicherheit durch Mauer”-Argument hat keine Grundlage. Statt dessen sind die Checkpoints eine schöne Gelegenheit zu demonstrieren, wer denn hier der Herr ist. 18jährige wehrdienstleistende, Kaugummi-kauende, durchgestylte Soldaten und Soldatinnen entscheiden hier, wer durchsucht wird oder nicht, wer durchkommt oder Probleme kriegt. Demütigend.

Krass war für mich folgendes Mini-Erlebnis: Ich stand da so am Checkpoint in der Schlange und wartete darauf, dass das Lämpchen wieder auf grün springt. Währenddessen fährt ein kleiner Bus von hinten an den Checkpoint ran – normal. Der Soldat macht ein kurzes Handzeichen, dass der Bus warten soll, aber anscheinend hat der Fahrer es nicht sofort geschnallt und innerhalb einer Sekunde hat der Soldat die Waffe oben, den einen Finger am Abzug und die Hand am (wie ich annehme) Entsicherungshebel. Hilfe! Und so ging er dann auf den Bus zu, der aber schon längst stehengeblieben war und dessen Busfahrer wirklich nichts Böses im Sinn hatte. Ich fand’s krass, wie schnell der Soldat die Waffe oben hatte und sah mich schon Augenzeugin einer Erschießung werden :-/ Das blieb uns allen aber zum Glück erspart.

Ach ja, noch eine interessante Info zum Themen-Abschluss: Der internationale Gerichtshof in Den Haag hat die Mauer schon 2004 als völkerrechtswidrig und somit illegal erklärt. Wen interessiert’s? Israel jedenfalls nicht.



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